Die Tarifrunde 2011 stand eindeutig im Zeichen der starken wirtschaftlichen Erholung. Im Vorjahr war das Bruttoinlandsprodukt um 3,6 % gestiegen und auch für das laufende Jahr wurde eine - wenn auch etwas abgeschwächte - Aufwärtsentwicklung prognostiziert. Bereits im zweiten Halbjahr 2010 hatte sich daher auch in den Tarifrunden bereits eine Verbesserung der Tarifabschlüsse abgezeichnet. Die Tarifforderungen der Gewerkschaften fielen angesichts der günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen höher aus als im Vorjahr und auch die Abschlüsse zeigten eine deutliche Aufwärtstendenz. In einer Reihe von Branchen wurden für dieses Jahr Tarifsteigerungen von 3 % und mehr vereinbart. Die steigenden Verbraucherpreise zehrten diesen Zuwachs jedoch zum Teil wieder auf.
In der diesjährigen Tarifrunde für die rund 700.000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe ging es zum einen um die regulären Lohn- und Gehaltsverhandlungen, die entsprechenden Tarifverträge liefen Ende März 2011 aus, zum anderen mussten die Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz neu verhandelt werden, da der entsprechende Mindestlohn-Tarifvertrag Ende November dieses Jahres ausläuft. Außerdem stand die Anpassung der Ost-Vergütungen an die Westtarife auf der Tagesordnung. Das Tarifgeschehen in der Bauwirtschaft wird maßgeblich von der fragilen Verbandsstruktur und Interessenlage auf Arbeitgeberseite beeinflusst, wo die Trennungslinien häufig zwischen den west- und ostdeutschen Bauunternehmen verlaufen. Aber auch Konflikte zwischen Bauindustrie und mittelständischem Baugewerbe spielen eine wichtige Rolle.
Die Tarifrunde 2011 in der chemischen Industrie führte mit einem Tarifplus von 4,1 % bei einer Laufzeit von 15 Monaten zur höchsten Abschlussrate in einem Flächentarifvertrag in diesem Halbjahr. Damit gelang es der IG BCE, nach dem Abschluss aus dem Vorjahr mit einer reinen Pauschalzahlung von 550 €, in diesem Jahr eine beachtliche dauerhafte Tarifsteigerung zu vereinbaren. Das Kalkül, nach einer kurzen Laufzeit von nur 11 Monaten in einem deutlich besseren wirtschaftlichen Umfeld verhandeln zu können, ist insoweit aufgegangen.
Die Tarifrunden im Einzelhandel waren in den vergangenen Jahren oftmals langwierig und nur mäßig erfolgreich. Angesichts einer anhaltend schwächelnden Branchenentwicklung verbunden mit einer zunehmend von Teilzeitbeschäftigten und Minijobbern geprägten Belegschaftsstruktur erwies sich die Durchsetzung der gewerkschaftlichen Tarifforderungen immer wieder als außerordentlich schwierig. Die Tarifentwicklung im Einzelhandel verlief im letzten Jahrzehnt sehr gedämpft: Während die Tarifvergütungen im Einzelhandel von 2000 bis 2010 um 18,7 % stiegen, betrug die Steigerung im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt immerhin 24,2 % und erreichte in der chemischen Industrie sogar ein Plus von 30,1 %. Der letzte Tarifabschluss im Einzelhandel aus dem Jahr 2009 hatte eine Laufzeit von zwei Jahren und sah nach vier Nullmonaten eine zweistufige Tariferhöhung von 2,0 und 1,5 % sowie eine Einmalzahlung von 150 € vor.
Die Tarifrunde in der Stahlindustrie bildete gleichermaßen den Abschluss der Tarifrunde 2011 wie den (vorgezogenen) Auftakt der Tarifrunde 2012. Der letzte Tarifabschluss vom September 2010 mit einer Pauschalzahlung von 150 € und einer Tarifanhebung von 3,6 % lief Ende Oktober 2011 aus. Trotz der erheblichen Irritationen, die von der Eurokrise ausgingen, setzte die IG Metall auf die stabile realwirtschaftliche Entwicklung gerade in der Stahlindustrie. Sie verwies auf die „sehr gute wirtschaftliche Lage in 2011“ und darauf, dass „alle Fakten für 2012 ein weiteres, moderates Wachstum“ auswiesen. Die Tarifkommission beschloss daher am 18.10.2011 als Tarifforderung eine Anhebung der Tarifvergütungen um 7,0 % bei einer Laufzeit von 12 Monaten.
Im öffentlichen Dienst wurde in diesem Jahr für den Bereich der Länder verhandelt. Der letzte Abschluss für die Länder datiert vom Februar 2009 und sah eine Vorweganhebung aller Entgeltgruppen um 40 € und darauf eine Erhöhung um 3 % sowie nach einem Jahr eine Stufenerhöhung um weitere 1,2 % vor. Im Februar 2010 hatte es zuletzt einen Abschluss für Bund und Gemeinden gegeben, der bei einer Laufzeit von 26 Monaten u. a. eine Tarifanhebung in drei Schritten vorsah und nach ver.di-Angaben ein Volumen von durchschnittlich rund 3,5 % ausmachte.
Seit Jahren schwelt bei den Tageszeitungen ein gravierender Konflikt zwischen den Verlegern und den Gewerkschaften. Die Zeitungsverleger fordern seit rund zehn Jahren immer von neuem tiefgreifende Einschnitte in die bestehenden Tarifverträge und stoßen dabei regelmäßig auf den teils hartnäckigen Widerstand der betroffenen Beschäftigten. So erinnert der Tarifkonflikt 2010/2011 in vielem an die Tarifrunde 2003/2004 in diesem Tarifbereich.
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