Quelle: WSI
TarifarchivTarifrunde 2011: Bauhauptgewerbe
In der diesjährigen Tarifrunde für die rund 700.000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe ging es zum einen um die regulären Lohn- und Gehaltsverhandlungen, die entsprechenden Tarifverträge liefen Ende März 2011 aus, zum anderen mussten die Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz neu verhandelt werden, da der entsprechende Mindestlohn-Tarifvertrag Ende November dieses Jahres ausläuft. Außerdem stand die Anpassung der Ost-Vergütungen an die Westtarife auf der Tagesordnung. Das Tarifgeschehen in der Bauwirtschaft wird maßgeblich von der fragilen Verbandsstruktur und Interessenlage auf Arbeitgeberseite beeinflusst, wo die Trennungslinien häufig zwischen den west- und ostdeutschen Bauunternehmen verlaufen. Aber auch Konflikte zwischen Bauindustrie und mittelständischem Baugewerbe spielen eine wichtige Rolle.
Der vorangegangene Tarifabschluss vom Mai 2009 hatte bei einer Laufzeit von zwei Jahren eine zweistufige Tariferhöhung von jeweils 2,3 % sowie eine geringfügige Anpassung des Ostniveaus gebracht. Am 20.1.2011 beschloss die Bundestarifkommission der IG BAU die Forderungen für die Beschäftigten im Bauhauptgewerbe. Sie umfassten eine Anhebung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen um 5,9 %, eine entsprechende Erhöhung der Mindestlöhne und als "zentrales Ziel" eine weitere Angleichung des Ostniveaus an das des Westens. Die Arbeitgeber erklärten die Forderungen für "schlicht zu hoch", das Bauhauptgewerbe habe noch nicht vom gesamtwirtschaftlichen Aufschwung profitiert. Bei der Angleichung Ost/West sei man sich im Ziel einig, aber bei der Geschwindigkeit dürfe der Osten nicht überfordert werden. Für die gewerblichen Beschäftigten in einigen Bauhandwerken forderten sie, künftig nur noch die niedrigeren Löhne des Maler- und Lackiererhandwerks zu zahlen.
Die 1. Verhandlungsrunde startete am 4.3.2011 in Berlin. Die Arbeitgeber legten erwartungsgemäß noch kein Angebot vor. Sie erklärten, dass bei einer möglichen Vereinbarung einer prozentualen Erhöhung diese im Westen geringer ausfallen müsse als im Osten und dafür ein nicht tabellenwirksamer Einmalbetrag gezahlt werden könne. Der Mindestlohn 2, den es nur noch im Westen gibt, solle wegfallen und der Mindestlohn 1 im Westen gesenkt werden. In der 2. Verhandlungsrunde am 24. März legten die Arbeitgeber für die Beschäftigten des Bauhauptgewerbes ein erstes Angebot vor. Es sah eine Erhöhung der Löhne und Gehälter von 1,8 % vor. Die IG BAU lehnte dieses Angebot ab, es reiche nicht einmal aus, die laufende Preissteigerungsrate auszugleichen. Aber auch in der 3. Runde am 30. März konnte keine Einigung erzielt werden. Die Arbeitgeberseite erhöhte ihr Angebot auf 2,0 % im Westen zzgl. geringer monatlicher Einmalbeträge in Höhe von 0,5 % und auf 2,5 % für den Osten. Auf diese Weise solle eine weitere Angleichung Ost an West erreicht werden. Nach einem Jahr sollte es diese Erhöhungen noch einmal für 12 Monate geben. Die IG BAU wies dieses Angebot zurück, weil damit die Beschäftigten im Westen zur weiteren Ost-Angleichung auf einen Teil der prozentualen Erhöhung verzichten sollten. Auch bei der Entwicklung der Mindestlöhne wurde keine Annäherung erreicht.
Die IG BAU erklärte das Scheitern der Verhandlungen und rief die Schlichtung an: Als Schlichter wurde der frühere Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement bestellt. Die 1. Schlichtungsrunde fand am 8. April statt. Eine Einigung wurde aufgrund der zu niedrigen Entgeltangebote und der unzureichenden Angleichungsschritte der Ost- an die Westentgelte nicht erreicht. In der 2. Schlichtungsrunde am 14.4.2011 kam es durch Schiedsspruch zu folgender Einigung:
- nach einem Nullmonat (April) Erhöhung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen im Westen und in Berlin um 3,0 % ab Mai 2011
- eine Stufenerhöhung von 2,3 % (Auszubildende: 2,6 %) ab Juni 2012
- im Osten nach 2 Nullmonaten (April und Mai) eine Erhöhung von 3,4 % ab Juni und eine Stufenerhöhung von 2,9 % ab August 2012
- Laufzeit der Tarifverträge insgesamt 24 Monate bis Ende März 2013
- Anhebung der Mindestlöhne West, Berlin und Ost in zwei Stufen ab Januar 2012 und 2013, Laufzeit bis 31. Dezember 2013
Auch in den weiteren strittigen Punkten wurde Einigkeit erzielt:
- Für das Bundesgebiet West und Berlin gibt es zudem im Jahr 2012 einen Zusatzbeitrag für die Zusatzversorgungskassen des Baugewerbes von 0,3 % für die gewerblichen ArbeitnehmerInnen bzw. 76 € (bisher: 67 €) für die Angestellten.
- Für das feuerungstechnische Gewerbe entfällt die separate Tabelle im Lohntarifvertrag. Die Entlohnung richtet sich zukünftig nach der Lohntabelle der ArbeiterInnen. Die Zuschläge für diesen Bereich werden in einen noch zu verhandelnden Tarifvertrag eingebaut.
Tabelle: Tariflicher Mindestlohn im Bauhauptgewerbe in Euro
Bauhauptgewerbe |
388.900 |
ab 07/2011* |
ab 01/2012 |
ab 01/2013 |
West inkl. Berlin |
Werker |
11,00 |
11,05 |
11,05 |
Fachwerker |
13,00 (Berlin: 12,85) |
13,40 (Berlin: 13,25) |
13,70 (Berlin: 13,55) |
|
Ost |
Werker |
9,75 |
10,00 |
10,25 |
* Vereinbart im Abschluss 2009
Quelle: WSI-Tarifarchiv
Der Schiedsspruch enthält des Weiteren eine Erklärung der Tarifvertragsparteien, dass die tarifvertragliche Rentenbeihilfe zu einem System der beitragsorientierten Leistungszusage weiterentwickelt und dieses neue System möglichst ab 2013 in Kraft gesetzt werden soll. Bis zum 30.6.2011 soll eine Arbeitsgruppe über die Löhne für das Stuckgewerbe beraten. Eine noch zu bildende Arbeitsgruppe soll die Wettbewerbsverzerrungen zwischen dem Steinpflasterbau und dem Garten- und Landschaftsbau analysieren und einen Katalog der zu ergreifenden Maßnahmen bis Ende Juni 2012 erstellen.
Die IG BAU erklärte, mit dem Tarifergebnis sei ein tragfähiger Kompromiss gefunden und ein wichtiger Schritt zur Angleichung der Ost- an die Westentgelte erzielt worden. Die Erhöhung der Mindestlöhne sei ein wichtiger Beitrag zum Schutz des Wettbewerbs im Baugewerbe. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie betonte, es sei gelungen, die Interessen von Ost und West zu berücksichtigen und dabei die Belastung insbesondere für die Ost-Unternehmen im Rahmen zu halten. Hier konnten die Arbeitgeber ihre Position weitgehend durchsetzen" (Presseinfo 30/11 vom 28.04.2011).
Quelle: WSI Tarifpolitischer Halbjahresbericht 2011 - Stand Juli 2011