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Florian Blank, 24.08.2018: Bedingungsloses Grundeinkommen – Befreiung von der Arbeit?

Arbeit bedeutet vielen Menschen mehr als die Erwirtschaftung von Einkommen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen trägt jedoch nicht zur Erwerbsintegration bei.

Arbeit spielt in der deutschen Gesellschaft eine zentrale Rolle – im Leben der Menschen und in politischen Diskursen. Erwerbsarbeit sichert Menschen die materiellen Grundlagen ihrer Existenz, solange sie nicht auf ein Vermögen zurückgreifen können. Wer nicht arbeitet oder nicht arbeiten kann, ist auf die Unterstützung anderer oder des Staates angewiesen. Diese Unterstützung wird aber nur unter bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen gewährt. Bezahlte Arbeit ist zugleich zentral für die Teilhabe an der Gesellschaft und schafft auch eine Mitsprache- und Anspruchslegitimation gegenüber dem Staat.

Schauen wir auf die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte, so zeigt sich: Erwerbsarbeit ist normativ und rechtlich zugleich auf- und abgewertet worden. Arbeit wurde aufgewertet, indem der sozialrechtliche Zwang zur Arbeitsaufnahme bei Arbeitslosigkeit verschärft wurde. Sie wurde auch deswegen wichtiger, weil Beiträge aus Erwerbsarbeit Grundlage der Absicherung durch die Sozialversicherung sind. So sind Phasen der Nicht-Erwerbsarbeit im Rentenrecht abgewertet worden (eine Ausnahme stellt nur Sorgearbeit dar). Auch die generelle Absenkung des Leistungsniveaus führt dazu, dass für angemessene Leistungen länger und/oder gegen bessere Bezahlung gearbeitet werden muss. Abgewertet wurde Arbeit hingegen, indem das Beharren auf einer Senkung der Lohn(neben)kosten und auf der vermeintlichen Notwendigkeit der Schaffung eines Niedriglohnsektors den Preis der Arbeit drücken.

Die Stellung von Arbeit in Deutschland ist damit paradox: Der Aufschwung am Arbeitsmarkt hat nach wie vor Schattenseiten, und die Politik hat Arbeit als gesellschaftliche Norm bestätigt und zugleich entwertet. Zudem kann selbst die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt bei vielen Menschen nicht die Sorge vertreiben, wie sich technologischer Wandel und Rationalisierung auf die Beschäftigung auswirken werden.

Möglicherweise speist sich das zunehmende Interesse an einem bedingungslosen Grundeinkommen (auch) aus dieser Situation und der Erfahrung, dass die Regulierung von Arbeit im Laufe der Zeit schwieriger geworden ist. Ein bedingungsloses Grundeinkommen soll Menschen unabhängiger vom Arbeitsmarkt machen und ihnen ohne weitere Voraussetzungen ein existenzsicherndes Einkommen zur Verfügung stellen. Kann dieser Vorschlag aber tatsächlich eine Lösung für die Probleme einer Gesellschaft sein, die vor einigen Jahrzehnten noch als „Arbeitsgesellschaft“ charakterisiert wurde? Mehrere Gründe sprechen dagegen:

Arbeit ist für viele Menschen mehr als die Erwirtschaftung von Einkommen. Zwar stimmt es, dass es neben der Erwerbsarbeit andere Formen von Arbeit gibt (Sorgearbeit, ehrenamtliche Arbeit) und diese oft genug nicht ausreichend honoriert werden. Auch stimmt es, dass Menschen nicht nur über Arbeit zusammenfinden. Beides sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen für sich genommen nicht zur Erwerbsintegration beiträgt. Diese wird aber von vielen Menschen gewollt, weil sie neben ökonomischer Sicherheit und den damit verbundenen Konsummöglichkeiten mit neuen Erfahrungen, mit Gemeinschaft, Status, Selbstbestätigung und manchmal sogar auch Spaß verbunden ist. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens kann gewollt oder ungewollt andere sozialstaatliche Programme, die auf die Wiederherstellung von Erwerbsfähigkeit und Ausbildung ausgerichtet sind, unter Druck setzen. Welche öffentlichen Bemühungen um die Integration von Langzeitarbeitslosen wären noch zu erwarten, wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt würde?

Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde eine Kapitulation bedeuten. Wenn die Probleme in der Regulierung des Arbeitsmarktes und schlechten Arbeitsbedingungen liegen oder wenn Löhne zu niedrig sind – dann müssen diese Probleme politisch oder kollektiv durch Gewerkschaften und betriebliche Interessenvertretungen angegangen werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre ein Rückzug aus solchen Auseinandersetzungen in den individuellen Ausstieg aus der Arbeit. Und ob sich auf diesem Weg der Handlungsspielraum der Beschäftigten (bzw. der Arbeitslosen) bei der Verhandlung von Arbeitsbedingungen zu ihren Gunsten ändern würde, ist mehr als fraglich. Eine Emanzipation durch kollektives Handeln wäre es gerade nicht.

Es stellt sich noch ein weiteres Problem: die Frage nach der Verteilung von Arbeit bzw. von Rechten und Pflichten. Letztlich muss jedes zu verteilende Einkommen erarbeitet werden. Die gesellschaftliche Wertschöpfung, die Grundlage der Verteilung und Umverteilung ist, beruht auf der Arbeit von Erwerbstätigen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Partizipation an der Wertschöpfung anderer ohne Gegenleistung ermöglichen. Es könnte zwar Optionen für eine andere Verteilung von Arbeit eröffnen wie auch andere Formen gesellschaftlich relevanter Arbeit unterstützen. Da solch eine Leistung aber gerade bedingungslos sein soll, also auch nicht an eine Verpflichtung zur familiären oder gesellschaftlichen Arbeit geknüpft ist, ist völlig unklar, wer am Ende für wen arbeitet und welche gesellschaftlich notwendigen Arbeiten, vermittelt über den Markt oder auch nicht, dann tatsächlich erbracht würden. Damit zeigt sich ein konzeptionelles Problem: Rechte sind strukturell mit Pflichten verbunden, nämlich insofern, als dass ein Recht von Person A eine Pflicht bei Person B auslöst. Der Adressat des Rechts auf ein bedingungsloses Grundeinkommen wären in einem ersten Schritt abstrakt der Staat, die Gesellschaft oder die Wirtschaft – wer wird aber konkret zur Mitwirkung an der Wertschöpfung verpflichtet, wer ist die Person B? Ist also ein Recht auf ein Grundeinkommen generell ohne eine Pflicht denkbar, sich in die Gesellschaft und die Produktion von Waren und Dienstleistungen einzubringen? Oder muss doch von ökonomischen Rechten und Pflichten ausgegangen werden?

Auf den ersten Blick scheint ein bedingungsloses Grundeinkommen nur fortzuführen, was andere sozialstaatliche Programme bezwecken: Menschen von Erwerbsarbeit unabhängiger zu machen (die Sozialpolitikforschung spricht hier von Dekommodifizierung, da die „Ware“ Arbeit nicht um jeden Preis verkauft muss). Der Unterschied liegt in den Voraussetzungen und Konsequenzen: Sozialpolitische Programme akzeptieren meistenteils Arbeit als gesellschaftliche Norm. Sie können und sollen eine Unabhängigkeit vom Arbeitsmarkt nur temporär und nur für bestimmte Personenkreise ermöglichen. Der Grund dafür sind nicht allein Annahmen über den Status von Arbeit, über Fairness und Gerechtigkeit, sondern auch der einfache Fakt, dass die Möglichkeit der Umverteilung auf der Produktion von Gütern und Dienstleistungen beruht und durch die Menge der produzierten Güter begrenzt ist. Bei der Regulierung von Arbeit und Löhnen, verteilungs- und sozialpolitisch ist sicher noch viel zu erreichen – politische Anstrengungen sind hier dringend vonnöten. Das Angebot einer dauerhaften Dekommodifizierung für die gesamte Bevölkerung ist in der gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hingegen schlicht nicht möglich. 




Zum Weiterlesen: 
Blank, Florian (2018): Warum fasziniert das bedingungslose Grundeinkommen?, in: WSI-Mitteilungen 04/2018, S. 337-339.

Autor

Dr. Florian Blank ist Experte für Wohlfahrtsstaatreformen und forscht intensiv zu Fragen der Gesundheits- und Rentenversicherung in Deutschland und Europa. 

Kontakt: florian-blank (at) boeckler.de

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