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Susanne Wixforth/Leonhard Schuckmann, 03.02.2020: Wasser - Gemeinschaftsgut oder doch Industriekapital?

2014 war die EU-Kommission mit einem Versuch gescheitert, die Privatisierung der Wasserversorgung voranzutreiben. Damals hatten 1,6 Mio. Menschen eine von Gewerkschaften initiierte Kampagne unterzeichnet. Jetzt steht die Hoheit über die Ressource Wasser erneut auf dem Prüfstand.

Die Nutzung der Ressource Wasser durch private Akteure sorgt in der EU immer wieder für heiße Diskussionen. Bereits 2014 war die EU-Kommission mit einem Versuch gescheitert, über die so genannte Konzessionsrichtlinie die Privatisierung der Wasserversorgung voranzutreiben. Jede Verfügungsbewilligung für die Wasserver- und -entsorgung sollte einer EU-weiten Ausschreibungspflicht unterworfen werden. Konkrete Beispiele zeigten aber schon damals, dass dadurch öffentlich-rechtliche Wasserwirtschaftsverbände der Gemeinden unter Preisdruck von global agierenden Konzernen gerieten. Auf massiven öffentlichen Druck hin wurde Wasser von der Richtlinie ausgenommen. Nur sechs Jahre später steht die Frage nun wieder auf dem Prüfstand.

Dass Wasser ein sensibles Gut ist, zeigte die Europäische Bürgerinitiative „right2water“: Mehr als 1,6 Mio. Menschen hatten sie bis September 2013 unter dem Motto „Wasser ist Menschenrecht!“ unterzeichnet. Die Kampagne war von den Mitgliedsgewerkschaften des Europäischen Gewerkschaftsbundes für den öffentlichen Dienst initiiert worden und hatte als erste Europäische Bürgerinitiative die Voraussetzungen erfüllt, eine Millionen Unterzeichner*innen aus mehr als sieben Mitgliedstaaten zu mobilisieren.

Nun unternimmt die EU-Kommission einen erneuten Versuch, die Frage der Verwaltungshoheit über die Ressource Wasser aufzugreifen. Diesmal im Zusammenhang mit der Nutzung von Wasserkraft. Und zwar unter dem Vorwand, die Produktion von Strom durch Wasserkraft sei eine Dienstleistung. Das staatlich verliehene Recht, Wasser zur Stromerzeugung zu nutzen, sei die Einräumung einer Konzession, die im Rahmen einer transparenten Ausschreibung verliehen werden müsse. Unter anderen verstoße Deutschland gegen diese Pflicht, weil die Erteilung und Verlängerung der Nutzungsgenehmigung nach Wasserrecht nicht durch Ausschreibung erfolgt. Aber nicht nur Deutschland steht auf dem Prüfstand: Die EU-Kommission verschickte im März 2019 Aufforderungsschreiben an insgesamt acht Mitgliedstaaten – der Auftakt für ein Vertragsverletzungsverfahren.

Das Gold des 21. Jahrhunderts

Ausgangspunkt des Verfahrens ist die Beschwerde eines italienischen Kraftwerksunternehmens, das in Österreich einen Betrieb aufnehmen möchte. Aus Sicht dieses Unternehmens widerspricht es dem Binnenmarkt, dass bisherige Kraftwerksbetreiber das Recht auf Verlängerung einer Wassernutzungsbewilligung haben. Vielmehr müsse bei jeder wasserrechtlichen Genehmigung bzw. ihrer Verlängerung eine (EU-weite) Ausschreibung erfolgen.

Laut EU-Kommission soll die öffentliche und internationale Ausschreibung der Nutzung von Wasserkraft dafür sorgen, dass der Bestbieter den Zuschlag erhält und eine Bevorzugung von nationalen Wasserkraftwerken verhindert wird. Die für die Verfahrenseröffnung zuständige EU-Kommissarin machte sich Sorgen, dass durch nationale Wasserbewirtschaftung das Funktionieren des Wasserkraftsektors nicht sichergestellt und damit dessen strategische Rolle bei der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien gefährdet werde. Die EU-Kommission müsse deshalb für gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt sorgen und gewährleisten, dass Unternehmen in der gesamten EU Strom aus Wasserkraft zur Verfügung stellen können.

Diese Vorstellung aus dem Nähkästchen der reinen Marktwirtschaft scheitert jedoch an mehreren politischen und rechtlichen Erwägungen.

Es klappert die Mühle (nur) am rauschenden Bach…

Das Vorhandensein einer Wasserkraftanlage an einem bestimmten Standort bedeutet, dass kein anderer Betreiber an demselben Standort ein zweites Kraftwerk betreiben kann. Auch eine andere Eigenschaft von Wasserkraftwerken ist zu berücksichtigen: Der Betrieb der Turbinen zur Stromerzeugung setzt eine gewisse Strömungsgeschwindigkeit voraus. Die mögliche Zahl an Wasserkraftwerken an einem Fluss ist daher beschränkt. Es wäre zwar theoretisch möglich, jedem Interessenten den Bau eines Wasserkraftwerkes zu genehmigen, allein wird dann der Betrieb mangels Strömungsgeschwindigkeit scheitern. Daneben sind die Einflüsse auf die Natur zu berücksichtigen: Jeder Staudamm ist ein tiefer Eingriff in die örtlichen Landschaften und Ökosysteme.

Es geht daher im Kern nur um die Frage, ob die Bewerbung zur Errichtung eines Kraftwerkes allen gleichermaßen offensteht. In Deutschland ist dies der Fall. Auch steht es jedem frei, ein Wasserkraftwerk mit dem dazugehörigen Grundstück samt Wasserrecht zu erwerben. Denn die wasserrechtliche Genehmigung ist untrennbar mit der Anlage verknüpft.

Die Genehmigung zur Wassernutzung wiederum wird nicht von wirtschaftlichen Erwägungen getragen, sondern dient der Wahrung des Umweltschutzes und wasserwirtschaftlicher Interessen – insbesondere der Sicherung der Trinkwasserversorgung, dem Hochwasserschutz und der Abwasserbeseitigung. Die Bewilligung ist deshalb notwendig, da Wasser in Deutschland ein Gemeingut ist, an dem der Gemeingebrauch für jeden offen steht. Um dieses Gemeingut für alle gleichermaßen bereithalten zu können, bedarf es einer Bewilligung für jede Nutzung, die über den Gemeingebrauch hinausgeht. Das Wasserrechtsgesetz dient also nicht einer wirtschaftlichen Zuteilung von staatlichen Wassernutzungsrechten. Daraus folgt, dass auch der Entzug der Bewilligung nur bei Vorliegen eines Gefährdungstatbestandes erfolgen darf; nicht hingegen, weil es eventuell im europäischen Binnenmarkt einen privaten Kraftwerksbetreiber gibt, der gerade Lust hat, an demselben Standort ein Wasserkraftwerk zu bauen oder zu betreiben.

Eine solche wasserrechtliche Bewilligung im öffentlichen Interesse ist jedoch – anders als die Verleihung einer Konzession – nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) keine Frage der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Die EU-Kommission hat diese Aspekte wohl ausgeblendet und geht von der falschen Annahme aus, dass es bei der Genehmigung eines Wasserkraftwerkes um die Nutzung eines staatlich verwalteten Wirtschaftsgutes gegen Entgelt geht, verbunden mit einer Betriebspflicht – also eine Konzession.

Hinzu kommt, dass Strom gemäß der ständigen Rechtsprechung des EuGH eine Ware ist. Daher ist die EU-Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie anzuwenden, die keine Ausschreibung für wasserrechtliche Bewilligungen vorsieht.

Absolutistische wirtschaftliche Grundfreiheiten: ein Irrweg

Die nun eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren erscheinen als Vorwand, Privatisierung und Marktmechanismen wieder auf die Wassernutzung auszuweiten. Dabei wurde die marktliberale These, dass private Konkurrenz signifikante Effizienzgewinne und höhere Qualität mit sich bringen würde, vielfach widerlegt. Im Bereich der Wasserversorgung führte diese Erkenntnis bereits dazu, dass eine Vielzahl an Privatisierungsprojekten auf kommunaler Ebene wieder zurückgenommen wurden, nachdem lediglich die Preise stiegen und Investitionen in die Infrastruktur ausblieben.

Ende der 90er Jahre wurden bspw. in Berlin 49,9 Prozent der Anteile des Eigentümers der Berliner Wasserbetriebe Berlinwasser Holding AG (BWH) an ein Konsortium von RWE und Veolia verkauft. In geheimen Verträgen wurde dem neuen Miteigentümer eine garantierte Rendite von 8 Prozent jährlich zugesichert. Ausbleibende Investitionen und rasante Preiserhöhungen führten 2011 zu einer Volksabstimmung, welche die Veröffentlichung der Verträge auslöste und schließlich zu einer Re-Kommunalisierung führte. Ähnliche Erfahrungen wurden in Paris, Buenos Aires, Kuala Lumpur und vielen weiteren Städten weltweit gemacht.

Dieses Mal steht also die Stromerzeugung über Wasserkraftanlagen auf der Agenda der Liberalisierungsbefürworter*innen in der Kommission.

Dabei ist es mehr als fragwürdig, inwieweit eine stärkere Beteiligung privater Unternehmen bei der Nutzung von Wasserressourcen einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der EU leisten könnte. Denn hier geht ist nicht nur um juristische Spitzfindigkeiten zu den Binnenmarktfreiheiten, sondern um eine Kernfrage der Hoheit staatlicher Regulierung: Es gehört zur ureigenen Gestaltungskraft des Staates, die Nutzung seiner natürlichen Ressourcen im Sinne des öffentlichen Interesses zu lenken und für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Globaler Wettbewerb und freies Spiel der Marktkräfte führen zur Enteignung vieler im Interesse weniger. Das ist eindeutig kein Ziel im Europäischen Interesse. In diesem Sinne sind die acht betroffenen Mitgliedstaaten aufgefordert, die Interessen ihrer Bürger*innen entsprechend zu vertreten und zu verteidigen.

 

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Autor/innen

Susanne Wixforth ist Referatsleiterin in der Abteilung Internationale und Europäische Gewerkschaftspolitik des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Leonhard Schuckmann ist Soziologe und Politologe und aktuell MA-Student in European Studies.

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