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Aktenordner mit der Aufschrift Rente, Münzstapel und symbolische Aktienkurse

Camille Logeay/Florian Blank, 30.07.2024: Das Generationenkapital – alle profitieren?

Das Generationenkapital soll ab 2036 einen Beitrag zur Finanzierung der Ausgaben der Rentenversicherung leisten. Wo liegen Probleme und Risiken?

In der deutschen Politik wird im Rahmen des Rentenpakets II die Einführung eines Generationenkapitals diskutiert. Das Generationenkapital ist ein Kapitalstock, der aus Krediten finanziert und dessen Ertrag der Rentenversicherung zugeführt werden soll – dazu unten mehr.  Diese Reform wird von der Regierung als „Einstieg in die Kapitaldeckung für die gesetzliche Rentenversicherung“ bezeichnet. Ob es sich hier aber um Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rentenversicherung handelt, ist umstritten. Was stimmt denn nun? Handelt es sich beim Generationenkapital um kapitalgedeckte Altersvorsorge oder nicht? Und wie ist dieser Plan einzuschätzen?

Generationenkapital und Kapitaldeckungsverfahren

Das Kapitaldeckungsverfahren ist einer von zwei generellen Wegen, ein Alterssicherungssystem zu finanzieren (und auch andere Sozialleistungen). Daneben gibt es das in der Sozialversicherung dominante Umlageverfahren, bei dem die Ausgaben direkt aus den laufenden Einnahmen bestritten werden. Das Kapitaldeckungsverfahren beruht hingegen darauf, dass ein Kapitalstock aufgebaut wird. Auf individueller Ebene besteht es darin, mit eigenen Beiträgen und den damit idealerweise erwirtschafteten Renditen ein Vermögen aufzubauen, das im Rentenalter aufgelöst wird, so dass Rentenzahlungen entstehen. Die (erwarteten) Leistungen sollten also durch den Aufbau des Kapitalstocks vorfinanziert sein, sie sind in diesem Sinne gedeckt. Häufig wird diese Form der Kapitaldeckung mit dem Vorsorgesparen der privaten Haushalte gleichgesetzt.

Ein Kapitalstock kann aber durchaus auch kollektiv aufgebaut und verwaltet werden, ohne dass individuelle Ansprüche damit verbunden sind und ohne dass die Ansprüche der kommenden Leistungsempfänger*innen komplett vorfinanziert sind (so war die deutsche Rentenversicherung in ihren Anfängen gestaltet). Auf der kollektiven Ebene vermischen sich dann Ansparphasen der beitragszahlenden Generationen und Auszahlungsphasen der verrenteten Generationen, sodass der Kapitalstock sich eher nicht (zumindest nicht innerhalb einer Generationenlänge) auflösen sollte, wie in der oben dargestellten individuellen Perspektive.

Das Generationenkapital folgt diesen Logiken nur teilweise. Für die Stiftung Generationenkapital will die Regierung Schulden aufnehmen (Bundesanleihen). Dieses Geld soll dann als Darlehen an das Generationenkapital weitergegeben werden. Außerdem können vom Bund Vermögenswerte und weitere Mittel an das Generationenkapital übertragen werden. Dieses Geld soll dann an den Kapitalmärkten angelegt werden, „renditeorientiert und global diversifiziert“. Die Gewinne aus diesen Anlagen werden dann zur Finanzierung der Zinsen für das Darlehen verwendet. Erträge, die darüber hinausgehen, sollen an die Rentenversicherung fließen, um damit den Beitragssatz niedriger zu halten.

Mit Hilfe eines Kapitalstocks sollen also Renditen auf den Finanzmärkten erwirtschaftet werden. Aber: Es geht nicht um den Aufbau eines Vermögens, dessen Wert in Relation zu späteren Rentenausgaben steht und eventuell später veräußert bzw. aufgelöst wird, um diese zu finanzieren. Es geht um einen durch Staatschulden finanzierten Fonds, der durch seine Erträge als Finanzierungsquelle dient, durch die die Beitragszahler*innen und der Staatshaushalt bei steigenden Kosten für die Alterssicherung entlastet werden sollen. Nur insofern findet tatsächlich eine Vorfinanzierung kommender Ausgaben statt. Angesichts des Aufbaus eines Vermögens scheint es dennoch sinnvoll, das Generationenkapital als kapitalgedecktes System zu analysieren.

Die Konstruktion des Generationenkapitals ist ein Novum und einige der gegen die Kapitaldeckung vorgebrachten Einwände gehen fehl, wenn sie auf das Generationenkapital angewandt werden. Das betrifft zum einen die Gegenargumente, die auf einer Verlagerung der Risiken von der Kollektivgemeinschaft auf die Individuen beruhen: Wahlmöglichkeiten und die vermeintlichen Chancen einer individualisierten, passgenauen Vorsorge spielen im Generationskapital keine Rolle, weil die Gewinne des vorgesehenen öffentlichen Fonds in die Rentenversicherung fließen sollen. Auch wird in der deutschen Debatte derzeit nicht explizit argumentiert, dass das Kapitaldeckungsverfahren in Gestalt des Generationenkapitals den zukünftigen ökonomischen Output erhöht. Es wird dennoch implizit angenommen, dass die zukünftige Verringerung des Beitragssatzes die Arbeitsnachfrage entlastet, ohne dass negative Effekte durch den Fondsaufbau entstehen, und dass durch die Finanzinvestitionen ins Ausland das Volkseinkommen (BIP) vergrößert werden kann. Und letztendlich steht die Entlastung des Staates, die häufig mit dem Ausbau von Kapitaldeckung bezweckt ist nicht im Vordergrund, da die Umsetzung des Fonds in einer öffentlich-rechtlichen Institution geplant ist und der Staat in der direkten Finanzierung und Regulierung der Rentenversicherung weiter eine zentrale Rolle spielt.

Generationenkapital und hartnäckige Mythen um das Kapitaldeckungsverfahren

Dennoch standen einige Mythen über die Vorzüge des Kapitaldeckungsverfahrens auch explizit oder implizit bei der Konstruktion des Generationenkapitals Pate. Wir orientieren uns im Folgenden an der nach wie vor lesenswerten Analyse von Nicholas Barr, der zehn solcher Mythen diskutierte und analysierte. In der Begründung und Konzeption des Generationenkapitals finden sich folgende Annahmen:

  1. Das Generationenkapital reduziert die Ausgaben für die öffentliche Alterssicherung in der Zukunft.
  2. Kapitalgedeckte Systeme wie das Generationenkapital haben bessere Anreizeffekte auf dem Arbeitsmarkt und stärken den Standort Deutschland.
  3. Die Kapitaldeckung profitiert von den hohen Aktienmarktrenditen.

(1) Sinn und Zweck des Generationenkapitals ist die Verringerung der künftigen Beitragssätze zur Rentenversicherung und des Bundeszuschusses. Wenn der Plan aufgeht, also dass die Netto-Differenz aus Schuldzinsen (= Zinsen für deutsche Bundesanleihen) und Aktiendividenden sowie Gewinnen aus anderen Finanzanlagen abzüglich Verwaltungskosten positiv ausfällt, kann mit dieser (im Umfang geringen) Wirkung gerechnet werden – in diesem Sinne sinken dann die Ausgaben für Bundeshaushalt und Beitragszahler*innen. Wenn der Plan nicht aufgeht und die Renditen nicht für den Zinsdienst ausreichen, ist allerdings der Bundeshaushalt doppelt belastet, ebenso bei einem Wertverlust des Kapitalstocks. Das Beispiel Schweden kann hier illustrieren, dass das Vertrauen auf Formen der Kapitaldeckung die Politik nicht entlastet – bei Problemen muss der Staat nachsteuern.

Was allerdings nicht explizit erklärt wird, wenn der Plan aufgehen sollte: Wer erwirtschaftet (oder „bezahlt“) das Geld, das notwendig ist, um die Zinsen auf die Anleihen zu zahlen und einen Überschuss an die Rentenversicherung auszuschütten?  Es geht hier um die Gewinne aus Finanzanlagen. Diese Gewinne werden nicht durch den Finanzmarkt produziert, sie werden durch ihn lediglich verteilt, nachdem Dividenden auf Unternehmensebene, Zinsen auf Staatsanleihen anderer Länder und Mieten von privaten Haushalten sowie Renditen aus Fonds (die wiederum in alle drei zuvor genannten Bereiche investieren) national und international gezahlt wurden. Finanzmarkttitel stellen ein Gläubiger-Schuldner-Verhältnis dar. Die Gewinne aus den Finanztiteln (Dividenden, Zinsen, Mieten) bilden einen Transfer von den Schuldner*innen zu den Gläubiger*innen und beruhen auf der Wertschöpfung durch Arbeitnehmer*innen. In diesem Sinne sorgt das Generationenkapital zwar für eine Verbreiterung der Einnahmebasis und reduziert scheinbar die öffentlichen Aufwendungen und notwendigen Beitragseinnahmen. Dafür steigen spiegelbildlich die Aufwendungen der anderen Wirtschaftssektoren. Das ist ein Nullsummenspiel, denn das notwendige Geld muss vorher erarbeitet und verteilt werden. Damit ist hier festzuhalten: Eine Entlastung des deutschen Staatshaushalts und der deutschen Beitragszahler*innen ist durch das Generationenkapital möglich. Die Finanzierung der Alterssicherung geschieht aber nicht aus dem Nichts, sie wird verlagert: auf Mieter, Beschäftigte und Steuerzahler*innen im In- und Ausland.

Arbeitskosten als Grund

(2) In der deutschen Debatte wird ein abgebremster Beitragssatzanstieg begrüßt, weil einerseits vor allem Arbeitgeber eine Verteuerung des Faktors Arbeit befürchten (die Arbeitskosten steigen, gemessen am Arbeitgeberbrutto). Anderseits wird argumentiert, dass die Beitragssätze von den Beschäftigten als zu hoch empfunden werden könnten (zu wenig Netto vom Brutto) und damit der Arbeitsanreiz sinkt. Ob die Abzüge vom Lohn als zu hoch empfunden werden, hängt von vielen Faktoren ab: Welcher Gegenwert wird erwartet – eventuell auch im Sinne einer Absicherung von Verwandten, Kolleg*innen und Freund*innen? Gibt es trotz einer relativen Verringerung des Nettoeinkommens Lohnzuwächse, die zu einem höheren realen verfügbaren Einkommen führen? Wird die steuerliche Behandlung (Abzugsfähigkeit der Sozialversicherungsbeiträge) berücksichtigt? Welche Alternativen zur Lohnarbeit gibt es? Wie schnell erhöhen sich die Abgaben- und Steuerquoten? Und schließlich: Führt eine Verringerung des Nettos relativ zum Brutto tatsächlich zu einer Zurückhaltung auf dem Arbeitsmarkt?

Auf Seiten der Arbeitgeber stellt sich ebenso die Frage, ob ein Wirkmechanismus so klar zu identifizieren ist: Arbeitgeber können die steigenden Lohnkosten auf die Beschäftigten oder auf die Käufer*innen der Produkte überwälzen, sie können durch eine gesteigerte Produktivität ausgeglichen werden und schließlich die Gewinne reduzieren. Die genauen Effekte auf den Arbeitsmarkt und die Attraktivität des Standortes hängen dann von den Details einer Branche oder eines Unternehmens ab.

Allerdings ist auch unabhängig von der Antwort auf diese Fragen klar: Der Beitrag des Generationenkapitals ist – wenn überhaupt – gering und daher ist fraglich, wie und in welchem Umfang Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage auf die Zuschüsse aus dem Kapitalstock reagieren werden: Nach jetzigem Stand gehen die Berechnungen davon aus, dass der Beitragssatz für Beschäftigte und Arbeitgeber nur jeweils um 0,2 Prozentpunkte geringer ausfällt.

(3) Dabei steht und fällt der Effekt für die Punkte (1) und (2) damit, wie und ob der Plan aufgeht. Es stellt sich also die Frage: Kann die Wette auf hohe Renditen auf dem Kapitalmarkt aufgehen?

Hier sei nur auf den eingangs bereits genannten Beitrag im Wirtschaftsdienst verwiesen: Der Unternehmensberater Uwe Schätzlein hat berechnet, dass die Mindestrendite des Generationenkapitals bei 0 Prozent Zinsen für die Staatsanleihen 3,26 Prozent betragen müsste, um die angekündigten 10 Mrd. Euro pro Jahr der Rentenversicherung zuführen zu können. Sollten die geplanten, durchschnittlichen 10 Mrd. Euro Ausschüttungen mit 3 Prozent dynamisiert werden, wäre eine Mindestrendite von 3,57 Prozent erforderlich. Bei Zinsen für die dem Generationenkapital gewährten Kredite von 2 Prozent wären 5,03 Prozent (5,34 Prozent) Mindestrenditen und bei 4 Prozent Zinsen 6,80 Prozent (7,09 Prozent) notwendig (in Klammern jeweils der Wert bei einer dreiprozentigen Dynamisierung des Zuschusses zur Rentenversicherung). Sollen Betriebskosten und Verwaltungskosten noch eingerechnet werden, wären weitere ca. 0,2 Prozentpunkte fällig. Auf der Grundlage von Werten zu den letzten 30 Jahren schreibt er, dass der Plan für das Generationenkapital „gerade so aufgeht“. Er warnt jedoch davor, dass er nicht berechnet hat, was die Volatilität der Werte ausmachen kann. Es kann also durchaus negativere Szenarien geben, sodass die Mindestrenditen zumindest teilweise deutlich höher liegen müssten.

Fazit

Das Generationenkapital weicht von häufig diskutierten Ausprägungen der Kapitaldeckung deutlich ab, speziell von der individualisierten Altersvorsorge, bei der Beschäftigte auf persönlichen Konten ein Vorsorgevermögen aufbauen. Die Grundidee des Generationenkapitals ist, die anstehenden Beitragssatzsteigerungen geringer zu halten. Klar ist aber: Dieser Finanzierungsweg zaubert kein Geld, sondern verteilt die Finanzierungslast nur anders. Ob es notwendig ist, die Arbeitskosten zu senken (zumal in diesem geringen Umfang), ist unklar. Und ob der Plan wirklich aufgeht, ebenso.

Das sind nur einige der Fragen, die mit dem Generationenkapital verbunden sind. Weitere – hier nicht behandelte – stellen sich etwa in Bezug auf die Governance. Der KENFO (Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung), der mit der Umsetzung betraut werden soll, ist zwar eher demokratisch kontrolliert als ein privatwirtschaftliches Finanzinstitut – im Vergleich zur Deutschen Rentenversicherung erscheint es aber als weniger transparent. Hier wäre dafür Sorge zu tragen, dass angemessene Mitbestimmungswege gefunden werden und ein noch transparenteres (detaillierteres) Berichtswesen eingeführt wird. Und sowohl mit Blick auf die Einhaltung von ESG-Kriterien bei der Anlage – also ökologischen und sozialen Aspekten wie auch Fragen der Unternehmensführung – als auch auf die grundsätzlichen oben skizzierten Verteilungswirkungen, die sich aus Kapitalanlagen ergeben, wäre zu fragen, ob und wie gesellschaftliche Akteure bei der Entwicklung und Beaufsichtigung der Anlagestrategien zu beteiligen wären.

Abschließend noch eine Frage: Wenn das Schöpfen von Geld durch Kreditaufnahme und Spekulation so einfach möglich und unproblematisch ist – warum macht das der Staat eigentlich nicht in großem Maßstab?

 

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Autor*innen

Dr. Florian Blank ist Experte für Sozialpolitik und forscht am WSI der Hans-Böckler-Stiftung insbesondere zu Fragen der Sozialversicherung in Deutschland und Europa.

Prof. Dr. Camille Logeay lehrt und forscht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin mit den Schwerpunkten Volkswirtschaftslehre, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und Ökonometrie.

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