Quelle: WSI
Aline Zucco, 14.04.2022: Frauen in der akademischen Laufbahn
Mittlerweile nehmen mehr Frauen als Männer ein Studium auf. Ihr Anteil nimmt jedoch mit der Höhe des akademischen Abschlusses immer mehr ab. Woran liegt es, dass Frauen im Wissenschaftssystem auf dem Weg nach oben schrittweise verschwinden?
Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2020 52,5 Prozent aller Studienanfänger:innen (1) Frauen. Ihr Anteil hat sich somit im Vergleich zum Jahr 2011 um fast 5 Prozentpunkte erhöht. Die Daten zeigen, dass der Frauenanteil unter den Studierenden im Verlauf des letzten Jahrzehnts nicht nur deutlich anstieg, sondern mittlerweile auch den der Männer übertrifft: Es nehmen nun mehr Frauen ein Studium auf als Männer. Dabei lassen sich aber je nach Studienfach beträchtliche Unterschiede beobachten: So stellten Frauen in den Sprach- und Kulturwissenschaften sowie in der Humanmedizin und in den Gesundheitswissenschaften unter den Studienanfänger:innen die Mehrheit. Im Vergleich dazu waren in der Mathematik bzw. in den Naturwissenschaften im Jahr 2015 nur ein Drittel der Studienanfänger:innen Frauen; in den Ingenieurwissenschaften sogar nur ein Viertel. In den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hingegen ist das Geschlechterverhältnis relativ ausgewogen. Das bedeutet, dass die Zahl der Studienanfängerinnen insgesamt gestiegen ist. Das Geschlechterverhältnis innerhalb der Fachbereiche hat sich allerdings in den letzten Jahrzehnten kaum verändert.
Wie aber sieht es bei den Abschlüssen aus? Dort zeigt sich anhand des aktuellen Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) sehr deutlich, dass der Frauenanteil mit der Höhe des akademischen Abschlusses abnimmt: Unter den Hochschulabsolvent:innen lag der Frauenanteil im Jahr 2018 bei 47 Prozent, unter den Promotionsabsolvent:innen bei 45 Prozent, unter Habilitationsabsolvent:innen jedoch nur noch bei 32 Prozent. Eine sehr ähnliche Verteilung ist bei Neuberufungen zu beobachten, denn während sich unter den Juniorprofessor:innen noch 43 Prozent Frauen finden, sind es unter den W2-Berufungen nur 34 Prozent und unter den W3-Berufungen lediglich 27 Prozent. Der Zusammenhang zwischen abnehmendem Frauenanteil und zunehmender akademischer Qualifikation wird auch als „leaky pipeline“, also als „undichte Rohrleitung“, bezeichnet und beschreibt das Phänomen, dass Frauen im Wissenschaftssystem auf dem Weg nach oben schrittweise verschwinden.
Ein Grund für die zunehmende Geschlechterlücke sind die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Zwar bieten die flexiblen Arbeitszeiten an Universitäten und Forschungsinstituten eine scheinbar gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dem stehen aber befristete Beschäftigung und ein hohes Maß an (trans-)nationaler Mobilität gegenüber: BuWiN zufolge sind 92 Prozent des hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Hochschulen unter 45 Jahren befristet beschäftigt – bei den unter 35-Jährigen liegt der Anteil sogar bei 98 Prozent. Diese Befristungen erschweren die Familiengründung vor allem für Frauen, weswegen sie die Geburt des ersten Kindes aufschieben – bei Männern ist dieser Effekt hingegen nicht zu beobachten (Auer/Danzer/Fichtl 2015). Zudem entscheiden sich Frauen wegen der hohen (trans-)nationalen Mobilität, die die wissenschaftliche Laufbahn fordert, eher gegen diesen Berufsweg – nicht zuletzt aufgrund traditioneller Rollenvorstellungen, die impliziert, dass sich Frauen (lokal) nach der Karriere ihres Mannes richten sollten (Jöns 2011).
Doch selbst wenn sich Frauen trotz der Widrigkeiten für eine Karriere in der Wissenschaft entscheiden, haben sie noch mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen. Um die einzelnen Hindernisse zu verstehen, ist es sinnvoll, sich die Leistungskriterien am Beispiel des Fachbereichs der Ökonomie im Detail anzusehen. Der Fokus auf diesen Fachbereich ist nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet, dass die „leaky pipeline“ innerhalb dieser Disziplin derzeit breit diskutiert wird, weil sie hier besonders stark ausgeprägt ist: In Europa sind nur 24 Prozent aller Ökonomie-Professor:innen Frauen, in Deutschland sogar nur 19 Prozent (Women in European Economics). Aus diesem Grund haben sich deutsche Ökonom:innen-Gemeinschaft auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik 2020 und die American Economic Assosication auf ihrer Jahrestagung 2021 mit diesem Problem befasst. Einige der daraus entstandenen Artikel sind im jährlichen Sammelband der AEA: Papers and Proceedings erschienen – auf manche dieser Ergebnisse wird in diesem Beitrag zurückgegriffen.
Der wohl wichtigste Punkt für das Weiterkommen in wissenschaftlichen Karrieren ist das Publizieren in renommierten Fachzeitschriften. Doch bereits hier zeigt sich, dass Frauen seltener in diesen Fachzeitschriften vertreten sind: Zum Beispiel gab es im Quarterly Journal of Economics, einem der Top Four-Journals in der Ökonomie, zwischen 2015 und 2017 keinen einzigen Artikel, der ausschließlich von Frauen verfasst worden war (Hengel 2021). Ein möglicher Grund dafür ist, dass bei Frauen höhere Schreibstandards (2) angelegt werden als bei Männern, wie eine Untersuchung anhand der renommiertesten ökonomischen Fachzeitschriftennachgewiesen hat (Hengel 2021). Zudem ist es in diesem Fachbereich üblich, die Namen der Autor:innen in alphabetischer Reihenfolge und nicht nach dem geleisteten Beitrag für den Artikel anzuordnen. Das bedeutet, dass die Personen, die den Fachartikel lesen, nicht wissen, welche:r Autor:in welchen Anteil bei der Erstellung des Papers geleistet hat. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass der Erfolg guter Publikationen, die in Ko-autor:innenschaft zwischen Männern und Frauen entstanden sind, eher den Männern zugeschrieben wird (Sarson 2017). In der Soziologie hingegen, wo die Namen der Autor:innen nicht alphabetisch, sondern ihrem Beitrag zur Studie entsprechend gelistet werden, treten diese Geschlechterunterschiede nicht auf. Darüber hinaus sind auch die so genannten invited talks für ein Weiterkommen in der wissenschaftlichen Laufbahn essenziell, denn sie ermöglichen es erstens mehr Feedback zu erhalten und somit im besten Fall den Fachartikel in einem höher gerankten Journal zu publizieren. Zweitens können auf diesem Wege wichtige Netzwerke aufgebaut werden, die idealerweise die zukünftige Karriere positiv beeinflussen. Dabei zeigt sich für Seminare im Fachbereich der Ökonomie, dass der Frauenanteil mit 22 Prozent dem Anteil an Frauen auf tenure-track Positionen entspricht. Für eine höhere Frauenquote in diesen Positionen müsste sich der Frauenanteil bei den invited talks aber an einer (höheren) Zielgröße orientieren (Dolec/Hengel/Pancotti 2021). Zuletzt können auch gute Bewertungen von Studierenden für die akademische Karriere von entscheidendem Vorteil sein. Doch auch hier zeigt sich anhand einer Metaanalyse, bei der die Ergebnisse verschiedener Studien miteinander vergleichen wurden, dass Frauen vor allem in quantitativen Fächern wie der Ökonomie schlechter beurteilt werden (Felkey/Batz-Barbarich 2021). All diese Erkenntnisse zeigen, dass auch Frauen, die sich bewusst für den akademischen Karriereweg entscheiden, Benachteiligungen erfahren. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass diese Benachteiligungen stark mit den Institutionen zusammenhängen und somit zwischen den Fachbereichen deutlich variieren können.
Natürlich reicht die bloße Anmerkung der Ungleichheiten im Wissenschaftsbereich nicht aus, um die leaky pipeline zu „reparieren“. Vielmehr müssen Akteure aus Politik und Wissenschaft jetzt aktiv dafür Sorge tragen, dass die bestehenden Hindernisse für Frauen abgebaut werden. Das verlangt, neben der Reduktion von Geschlechterbias innerhalb der Wissenschaft, vor allem, Strukturen so zu verändern, dass sich Frauen nicht zwischen Familie und einer Karriere in der Wissenschaft entscheiden müssen. Die Diskussion um die unsicheren Arbeitsbedingungen durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben im Rahmen von #ichbinHanna mächtig an Fahrt gewonnen. Es bleibt also zu hoffen, dass sich durch zukünftige Reformen, die es bis in den Koalitionsvertrag geschafft haben, die Befristungssituation an Hochschulen und Forschungsinstituten langfristig verbessert, was nicht zuletzt auch den Frauenanteil in der Wissenschaft erhöhen könnte. Vor diesem Hintergrund sollte auch die Hochschulfinanzierung im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit reformiert werden. Dazu gehört unter anderem auch, dass Stellen nicht über Drittmittelprojekte, sondern über den Hochschulhaushalt finanziert werden. Darüber hinaus könnten die zunehmende Digitalisierung und die abnehmende Präsenzpflicht, durch die Covid-19-Pandemie beschleunigt, zu weniger Mobilitätsanforderungen führen. Allerdings könnten sich auf diesem Weg auch Geschlechterungleichheiten verstärken, wenn beispielsweise nur Frauen von Homeoffice Gebrauch machen würden, während Männer unverändert vor Ort arbeiten.
Wie wichtig es ist, gerade an der ungleichen Aufteilung der Sorgearbeit anzusetzen, offenbarte sich sehr eindringlich zu Beginn der Covid-19-Pandemie, während des ersten Shutdowns im Frühjahr 2020, als vor allem Frauen mit Kindern ihre Forschungsarbeit deutlich reduzierten – auch im Vergleich zu Männern mit Kindern (Deryugina/Shurchov/Stearns 2021). Zeitgleich war vor allem bei Männern ein Anstieg in den Einreichungen bei Fachzeitschriften zu beobachten (Bell/Fong 2021; Fuchs-Schündeln 2020). Dies lässt sich einerseits dadurch erklären, dass Frauen im Schnitt mehr Zeit in die Umstellung der Online-Lehre investierten (Altenstädter/Klammer/Wegrzyn 2021). Andererseits wurde durch das Wegfallen der institutionellen Kinderbetreuung wie in allen anderen Bereichen des Arbeitsmarktes auch im Wissenschaftsbereich deutlich, welcher Elternteil die wegfallende institutionelle Kinderbetreuung kompensierte – nämlich Frauen.
Die Covid-19-Krise hat also sehr eindringlich verdeutlicht, dass die Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit der Dreh- und Angelpunkt der Geschlechterungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt ist. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es nur dann mehr Frauen in der Wissenschaft bzw. in Führungspositionen geben kann, wenn der Umfang der (unbezahlten) Sorgearbeit von Frauen reduziert wird. Das wiederum kann nur durch politisches Mitwirken gelingen: Erstens bedarf es eines Ausbaus der institutionellen Kinderbetreuung. Zweitens können nur durch sozialpolitische Maßnahmen wie dem Ausbau der Partnermonate traditionelle Strukturen innerhalb von Paarbeziehungen aufgebrochen und langfristig so verändert werden, dass Mütter und Väter sich die Sorgearbeit gleichermaßen aufteilen. Drittens besteht ein dringender Reformbedarf bei der Hochschulpolitik, was neben Geschlechterquoten und Gender Budgeting auch die Entfristungspolitik impliziert.
(1) Die Daten des Statistischen Bundesamtes unterscheiden lediglich zwischen Männern und Frauen. Daher werden die Geschlechter im Folgenden binär eingeteilt.
(2) Zwar kennen die Gutachter:innen zumindest offiziell die Namen der Autor:innen nicht, allerdings ist es in der Ökonomie üblich die Artikel mit gleichem oder sehr ähnlichen Namen als Discussion Paper zu veröffentlichen. Auf diesem Wege können die Gutachter:innen die Autor:innen der Studie leicht identifizieren, aus diesem Grund entspricht das Gutachter:innen-Verfahren vielmehr einem single-blind Prozess. Das bedeutet, dass die Autor:innen zwar nicht die Namen der Gutachter:innen kennen, aber den Gutachter:innen die Namen der Autor:innen bekannt sind.
Referenzen
Altenstädter, Lara, Klammer, Ute und Wegrzyn, Eva (2021): Corona verschärft die Gender Gaps in Hochschulen. WSI-Blog Work on Progress – Blog-Serie zu den Folgen der Pandemie.
Auer, Wolfgang, Danzer, Natalia und Fichtl, Anita (2015): Ökonomische Unsicherheit: Befristete Verträge erschweren Familiengründung. ifo Schnelldienst 68(18), S. 35-41.
Bell, Michelle L. und Fong, Kelvin C. (2021): Gender Differences in First and Corresponding Authorship in Public Health Research Submissions During the COVID-19 Pandemic. American Journal of Public Health 111(1), S. 159-163.
Deryugina, Tatyana, Shurchkov, Olga und Stearns, Jenna (2021): COVID-19 Disruptions Disproportionately Affect Female Academics. AEA Papers and Proceedings 111, S. 164-168.
Dolec, Jennifer L., Hengel, Erin und Pancotti, Elizabeth (2021): Diversity in Economics Seminars: Who Gives Invited Talks. AEA Papers and Proceedings 111, S. 55-59.
Felkey, Amanda J. und Batz-Barbarich, Cassondra (2021): Can Women Teach Math (and Be Promoted)? A Meta-analysis of Gender Differences across Student Evaluations of Teaching. AEA Papers and Proceedings 111, S. 184-189.
Fuchs-Schündeln, Nicola (2020): Gender Structure of Paper Submissions at the Review of Economic Studies during COVID-19: First Evidence. Mimeo.
Hengel, Erin (2021): Publishing While Female. Are Women Held to Higher Standards? Evidence from Peer Review. Mimeo.
Jöns, Heike (2011): Transnational Academic Mobility and Gender. Globalisation, Societies and Education 9 (2), S. 183-209.
Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (2021): Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs. Bielefeld: wbv.
Sarsons, Heather (2017): Recognition for Group Work: Gender Differences in Academia. American Economic Review, 107(5), S. 141-145.
Women in European Economics (2021): A Real-Time Monitoring Tool. https://www.women-economics.com/index.html.
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Autorin
Dr. Aline Zucco ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Referat Verteilungsforschung des WSI. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Forschungen zu sozialen Ungleichheiten, insbesondere Einkommens- und Vermögensungleichheiten, sowie zum Gender Pay Gap.