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Elke Ahlers/Aline Zucco, 20.10.2020: Homeoffice – der positive Zwang?

Viele Beschäftigte wünschen sich auch für die Zukunft, von zuhause (oder anderen Orten aus) zu arbeiten. Neben allen Vorteilen steht jedoch eine Reihe von Risiken, aus denen sich Regelungsbedarf ableitet.

Nicht zuletzt durch den von Arbeitsminister Hubertus Heil eingebrachten Gesetzesentwurf zu einem Rechtsanspruch auf mindestens 24 Tage Homeoffice hat das mobile Arbeiten wieder kräftig an Bedeutung gewonnen. Zu diesem Thema kursieren derzeit in den Medien etliche Berichte und Interviews zum boomenden Thema Homeoffice – allerdings mit teils widersprüchlichen Befunden und Bewertungen. Im weitaus größeren Teil dieser Beiträge wird Homeoffice als wichtiger Teil eines Zukunftsmodells der modernen Arbeitswelt vorgestellt. Betont werden die Vorteile für die Beschäftigten, etwa die wegfallenden Pendelzeiten, die größere Arbeitszeitsouveränität und die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf (z.B. Fraunhofer 2020). In dem anderen, kritischeren Teil der Studien zum Homeoffice stehen die Risiken für die Beschäftigten im Vordergrund, es wird auf Produktionsverluste, die Gefahr der Vereinsamung der Menschen verwiesen und den fehlenden Austausch unter den Kollegen oder mit Vorgesetzten. Auch wird vor zunehmender Entgrenzung und Selbstausbeutung mit den damit verbundenen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Risiken gewarnt (IW 2020). Zudem berge der Ausbau von Homeoffice die Gefahr von Interessenskonflikten – nicht nur innerhalb der Belegschaft, sondern auch innerhalb der Gesellschaft, da nicht alle Berufsgruppen gleichermaßen die Möglichkeiten haben, von zu Hause aus zu arbeiten (Wirtschaftswoche 2020). Vor dem Hintergrund, dass momentan diverse Beiträge mit jeweiligen Studienbefunden zum Homeoffice vorliegen, ergibt sich für den interessierten Laien ein irritierendes Bild mit der Frage: Was stimmt denn nun?

Deutschland holt auf!

Tatsächlich ist Homeoffice seit Corona für eine breitere Beschäftigtengruppe zum Thema geworden. Vorher konnten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland nur selten Erfahrungen mit diesem Arbeitsarrangement  machen. Wenn doch, dann waren es eher die privilegierten Berufsgruppen in qualifizierteren Büroberufen. Für die breite Masse war Homeoffice bis dato von den Unternehmen (mehr oder weniger) gewollt nicht vorgesehen. In anderen europäischen Ländern war Homeoffice verbreiteter, etwa in Irland, Schweden oder Dänemark. Dabei wäre in Deutschlands Unternehmen das Potenzial dafür vorhanden gewesen: Viele Büroarbeitsplätze hätten schon lange auch tageweise auf den heimischen Arbeitsplatz verlegt werden können, zumal die Beschäftigten verstärkt Interesse daran zeigten. Aber den Wünschen wurde vielfach nicht entsprochen, es fehlte in deutschen Unternehmen offenbar das Vertrauen in die Arbeitsbereitschaft der eigenen Beschäftigten (Brenke 2016). Insgesamt hatte Deutschland also weniger Homeoffice-Erfahrungen als andere europäische Länder, so dass die hiesigen Unternehmen und Beschäftigten durch den Corona-Lockdown und der schlagartigen Umstellung auf Homeoffice häufig ins kalte Wasser geworfen wurden.

Und doch ergibt sich aus den Erfahrungen mit dem durch die Corona-Pandemie „erzwungenen“ Homeoffice in Deutschland ein erstaunlich positives Bild. Der Großteil der Erwerbstätigen, die nun von zuhause (oder von anderen Orten) aus arbeiten, im Großen und Ganzen zufrieden mit diesem neuen Arbeitsarrangement und wünschen sich eine Fortsetzung. Diesen Befund zeigen nicht nur viele deutsche, sondern auch internationale Studien. Überraschenderweise herrscht Zufriedenheit auch auf der Arbeitgeber-Seite, denn auch Unternehmen berichten von überwiegend positiven Erfahrungen und geben an, Vorbehalte abgebaut zu haben (Fraunhofer 2020).  Insgesamt zeigt sich aber auch, dass sich die individuell optimale Gestaltung  nicht von heute auf morgen einstellt, sondern Zeit und Erfahrung braucht. Und zwar auf Seiten der Arbeitgeber und der Beschäftigten, denn die veränderten, oft selbstorganisierten Arbeitsbedingungen müssen „geübt“ und ausgetestet werden. 

Also alles schön und gut?

Klar, es gibt Kritik am Homeoffice. Und es wurden auch allerhand negative Erfahrungen gesammelt. So zeigt auch die HBS-Erwerbstätigenbefragung 2020, dass vielen Beschäftigten der soziale Austausch im Homeoffice fehlt und dass die Arbeit daheim aufgrund der ungewohnten Umstände nicht so leicht von der Hand geht. Ein Teil gibt an, dass sie zu Hause länger arbeiten als im Büro. Und tatsächlich: zum größten Problem der Arbeit im Homeoffice zählt die Entgrenzung. Hier gilt es, im Unternehmen klare Regeln zu den Arbeitszeiten und zur Erreichbarkeit aufzustellen, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit der Beschäftigten zu erfassen und diese vor Überlastung und Selbstausbeutung zu schützen. Im Grunde geht es aber darum, Altbekanntes in ein neues Umfeld zu übertragen. Das bedeutet: Führungskräfte müssen angemessene Leistungsanforderungen an die Beschäftigten transparent und verbindlich kommunizieren, um die Beschäftigten vor unklaren Zuständigkeiten und Überforderung zu schützen. Auftretende gesundheitsbedenkliche Arbeitsbedingungen gilt es wahrzunehmen und schnellstens zu beseitigen. Die vorhandenen Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen, die im Büro gelten, müssen auf die Arbeitsbelastungen im Homeoffice übertragen werden. Hilfreich sind auch Gespräche mit Kollegen und Kolleginnen sowie mit Betriebsräten und Führungskräften, um gemeinsam nach Lösungsschritten zu suchen.

Wegen der einschneidenden und rasch umgesetzten Corona-Beschränkungen waren im Frühjahr viele Beschäftigte von heute auf morgen fast durchgängig im Homeoffice. Das führte einerseits zur sozialen Isolation und andererseits aufgrund mangelnder Kommunikationsmöglichkeiten auch zu Konflikten zwischen den Beschäftigten. Für die Unternehmen kommt es auch zu der kurzzeitigen Überlegung, Büroflächen einzusparen. Dies wäre allerdings mit Blick auf eine sinnvolle und nachhaltige Arbeitsgestaltung nicht zielführend, da sich viele Beschäftigte für eine Kombination aus Homeoffice und Bürotagen aussprechen (vgl. auch Fraunhofer 2020). Zudem deuten frühere Studien darauf hin, dass die Beschäftigten dabei aber selbst entscheiden sollten, ob und wie oft sie von zu Hause arbeiten möchten.

Auch eine Re-Traditionalisierung von Rollenbildern, die sich während des Corona-Lockdowns herausstellte,  sollte als Alarmsignal gewertet werden. Hier zeigt sich, wie wichtig Institutionen sind, die die Familien in ihren Sorgearbeiten entlasten. Um diese Gefahr aber abzuwenden, muss sichergestellt werden, dass Kinder institutionell betreut werden und Homeoffice hier nicht als Substitut für mangelnde Kinderbetreuungsmöglichkeiten genutzt wird.

Ob Homeoffice als Eingangstor für weitere Rationalisierung (von Arbeitsplätzen) dienen kann, wäre zu diskutieren. Tatsächlich birgt Homeoffice – auf den ersten Blick – durch die Ausgestaltung der Arbeitspakete, die Arbeitsorganisation und die Leistungsanforderungen die Gefahr, dass Tätigkeiten der Beschäftigten durch Crowdworker erledigt werden könnten. Allerdings sollte hierbei nicht außer Acht gelassen werden, dass vor allem Fachkräfte ihre Arbeit von zu Hause aus machen können (z.B. Brenke 2016). Diese Beschäftigtengruppe besitzt neben einem sehr detaillierten Fachwissen und Erfahrung, auch das Know-How darüber, wie die betriebsinternen Prozesse funktionieren. Dieses Insider-Wissen hingegen fehlt externen Crowdworkern, weswegen es für das Unternehmen nicht sinnvoll sein kann, diese  Arbeitsplätze wegzurationalisieren. Somit kann Homeoffice vielmehr dazu führen, dass das Wissen über interne Prozesse und die Erfahrung im Betrieb an Bedeutung gewinnt. 

Nicht allen wird gegeben

Bei allem Abwägen der Chancen und Risiken des Homeoffices sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nur 42 Prozent der Beschäftigten in Deutschland tatsächlich auch Tätigkeiten haben, die von zu Hause aus erledigt werden können. Das bedeutet, dass von den Chancen, die das Homeoffice bietet, 58 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht profitieren können. Somit birgt der Ausbau des Homeoffice auch die Gefahr einer steigenden sozialen Ungleichheit, denn im Homeoffice kann meist nur eine Gruppe an Beschäftigten arbeiten, und zwar eine, die auch schon vorher privilegiert war. Um Interessenskonflikte  und den Weg in eine „Zweiklassengesellschaft“ (Wirtschaftswoche 2020) zu vermeiden, müssen daher weiterhin die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Auge behalten werden, die nicht im Homeoffice arbeiten können. Auch sie sollten stärkere Möglichkeiten des zeitflexiblen Arbeitens erhalten. Falls dies aufgrund ihrer Tätigkeit zum Beispiel im Schichtdienst nicht möglich sein sollte, könnte dies zum Beispiel durch mehr Urlaubstage kompensiert werden. 

Fazit

Was bedeutet das für unsere Eingangsfrage? Zeigen unterschiedliche Studien tatsächlich unterschiedliche Ergebnisse? Nein. Sie beleuchten aber sehr differenziert die verschiedenen Chancen und Risiken des Homeoffice und beleuchten die zwei Seiten der Medaille. Denn ja, Homeoffice kann zu Problemen in Bezug auf Entgrenzung der Arbeitszeit und auch zu Interessenskonflikten zwischen unterschiedlichen Beschäftigtengruppen führen, aber vor allem dann, wenn es an betrieblichen Regelungen fehlt. Das bedeutet, dass insbesondere jetzt auf gute Betriebsvereinbarungen geachtet werden muss, um gute und gerechte veränderte Arbeitsbedingungen zu gestalten. Auch muss gleichzeitig der Teil der Belegschaft in den Blick genommen werden, der dieses Arbeitsarrangement nicht nutzen kann. Denn die Arbeit im Homeoffice wird uns weiterhin begleiten und die Ergebnisse der HBS-Beschäftigtenbefragung weisen darauf hin, dass mit knapp 90 Prozent der Befragten die überwiegende Mehrheit gerne weiterhin im Homeoffice arbeiten möchte – wenn auch in reduzierterem Ausmaß als zu Zeiten des Corona-Lockdowns.

Weiterführende Literatur

Brenke, Karl (2016): Home Office: Möglichkeiten werden bei weitem nicht ausgeschöpft. DIW Wochenbericht 5/2016. S. 95-106.

Fraunhofer IAO (2020): Arbeiten in der Corona-Pandemie – auf dem Weg zum New Normal.

IW Köln (2020): Experiment Homeoffice. Gastbeitrag - Oliver Stettes in der Fuldaer Zeitung am 24. März 2020.

Lott, Yvonne (2020): Work-Life Balance im Homeoffice: Was kann der Betrieb tun? WSI Report 54, Januar 2020.

Wirtschaftswoche (2020): Die zwiespältige Bilanz des Homeoffice. 22. September 2020.


Die Beiträge der Serie:

Florian Blank und Daniel Seikel (06.10.2020)
Soziale Ungleichheit in der Corona-Krise. Eine Serie im WSI-Blog Work on Progress

Bettina Kohlrausch und Andreas Hövermann (06.10.2020)
Arbeit in der Krise

Elke Ahlers (07.10.2020)
Arbeitsschutz in der Corona-Krise: Hohe Standards für alle!

Philip Mader, Daniel Mertens, Natascha van der Zwan (08.10.2020)
Neun Wege, wie der Coronavirus den Finanzkapitalismus verändern könnte

Daniel Seikel (13.10.2020)
Die Corona-Krise und die Eurozone: Ausweg aus dem Nein-Quadrilemma?

Ingo Schäfer (15.10.2020)
Rente in der Krise? Keine Spur!

Maria Figueroa, Ian Greer, Toralf Pusch (16.10.2020)
Europas Arbeitsmärkte in der Corona-Krise: Kurzarbeit hat einen drastischen Einbruch verhindert

Elke Ahlers und Aline Zucco (20.10.2020)
Homeoffice - Der positive Zwang?

Lukas Haffert (22.10.2020)
Auf Nimmerwiedersehen, Schwarze Null?

Florian Blank (23.10.2020)
Die Unordnung der Wohlfahrtsproduktion in Zeiten von Corona

Toralf Pusch und Hartmut Seifert (30.10.2020)
Kurzarbeit vs. Mehrarbeit in systemrelevanten Bereichen

Martin Behrens (03.11.2020)
Besser durch die Krise mit Tarif und Betriebsrat

Stephan Lessenich (09.11.2020)
Grenzen der Solidarität. COVID-19 und die Strukturen globaler sozialer Ungleichheit

Bettina Wagner (13.11.2020)
Corona und die deutsche Fleischindustrie – seit langem überfällige Reformen?

Aline Zucco und Bettina Kohlrausch (24.11.2020)
Was bedeutet die Pandemie für die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern?

Sonja Blum (16.12.2020)
Bildung und Betreuung in der (Corona-)Krise

Lara Altenstädter, Ute Klammer, Eva Wegrzyn (02.02.2021)
Corona verschärft die Gender Gaps in Hochschulen

Weitere Beiträge sind in Vorbereitung.

 

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Autorinnen

Dr. Elke Ahlers leitet das Referat Qualität der Arbeit am WSI der Hans-Böckler-Stiftung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind der Wandel der Arbeit, Gesundheit, psychische Arbeitsbelastungen und die Rolle der betrieblichen Interessenvertretung.

Dr. Aline Zucco ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Referat Geschlechterforschung des WSI. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Forschungen zum Gender Pay Gap, zu Berufen und beruflichen Aufstiegen, Elterngeld sowie quantitative Methoden.

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