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Tarifarchiv - Analysen Tarifarchiv

Tarifrunde 2007: Deutsche Bahn AG

Der Konflikt bei der Deutschen Bahn AG hatte eine tarifpolitische, aber mindestens in gleichem Maße auch organisationspolitische Bedeutung. Bereits seit Jahren hatte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) darauf hingearbeitet, die Interessen ihrer Mitglieder, vornehmlich der Lokomotivführer, unabhängig von den beiden anderen Bahngewerkschaften Transnet und GDBA als eigenständige Tarifvertragspartei zu vertreten.

Nach einem gescheiterten Versuch im Jahr 2003 nutzte sie im vergangenen Jahr - von langer Hand geplant - ihre Chance, lehnte den von Transnet und GDBA ausgehandelten Tarifvertrag ab und stellte ihre eigenen, sehr viel weiterreichenden Forderungen auf. Im Kern ging es ihr dabei zum einen um einen völlig eigenständigen, vom sonstigen Tarifwerk des Unternehmens unabhängigen Tarifvertrag für das Fahrpersonal (Lokführer und Zugbegleitpersonal) und zum andern um eine deutliche materielle Besserstellung insbesondere der Lokführer.

Transnet/GDBA-Forderung und Abschluss

Nach einer sehr umfangreichen Mitgliederdiskussion forderte die Tarifgemeinschaft von Transnet und GDBA im März eine Anhebung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um 7 %, mindestens 150 €, und stellte damit die höchste Forderung der Tarifrunde auf. Der Tarifvertrag lief zum 30.6. aus. Die Verhandlungen zu einem neuen Entgeltsystem, die bereits seit Jahresbeginn liefen, setzte Transnet aus, weil die Deutsche Bahn AG sie mit der laufenden Entgeltrunde verknüpfen wollte. Die Verhandlungen zur Einkommensrunde für die Beschäftigten der Deutschen Bahn AG begannen am 19.6. in Berlin. In der 2. Verhandlungsrunde am 26.6. legte die Arbeitgeberseite ein erstes Angebot vor. Es beinhaltete eine Sonderzahlung von 300 € für Juli bis Dezember 2007, Erhöhungen der Entgelte um jew. 2,0 % ab 1.1.2008 und 1.7.2009 bei einer Laufzeit von 30 Monaten. Transnet wies dieses Angebot als völlig unzureichend zurück. Nach der 3. Runde am 30.6./1.7. brach Transnet die Verhandlungen ab und rief zu Warnstreiks vom 2. bis 4.7. auf. Am 4.7. wurde in einem Spitzengespräch die Fortsetzung der Verhandlungen am 5.7. verabredet. Die Arbeitgeberseite legte ein verbessertes Angebot von 3,4 % ab Januar 2008 mit einer Laufzeit von 24 Monaten sowie eine Einmalzahlung von 450 € vor. Gleichzeitig sollte aber die Arbeitszeit von 39 auf 40 Stunden in der Woche angehoben werden. Transnet bezeichnete das neue Angebot als keinesfalls ausreichend und sah keine Notwendigkeit zur Einbeziehung der Arbeitszeit in die Verhandlungen. In der 5. Verhandlungsrunde am 8.7. legte die Arbeitgeberseite ein weiteres Angebot von 3,9 % bei einer Laufzeit von 24 Monaten und einer Einmalzahlung von 500 € vor. Am 9.7. konnte Transnet dann folgendes Ergebnis erzielen:

  • Einmalzahlung für die Monate Juli bis Dezember von 600 €,
  • Erhöhung der Entgelte von 4,5 % ab 1. Januar 2008, 
  • Laufzeit bis zum 31. Januar 2009.

Die bereits beim Abschluss im Jahr 2005 vereinbarte Tariferhöhung von 1,9 % zum 30.6.2007 wurde maximal bis zum Abschluss einer neuen Entgeltstruktur bzw. bis zum Laufzeitende im Januar 2009 ausgesetzt. Stattdessen erhalten die Beschäftigten bis dahin eine monatliche Pauschalzahlung von 50 €.

Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL)

Die GDL hatte sich weder die Forderung von Transnet/GDBA zu eigen gemacht, noch an den Verhandlungen teilgenommen. Ebenfalls im März 2007 legte sie der Deutschen Bahn AG ihren Forderungskatalog für einen Fahrpersonaltarifvertrag vor. Er beinhaltete u.a. ein Einstiegsgehalt für Lokführer von 2.500 € brutto und damit rund 600 € mehr als bislang sowie zahlreiche Verbesserungen bei der Arbeitszeit. Bei der Entgeltberechnung sollen die Berufserfahrung der Mitarbeiter und die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit eine weitaus stärkere Beachtung finden als dies bislang der Fall war. Dadurch sollte ein Endgehalt von knapp 3.000 € ermöglicht werden. Die Deutsche Bahn lehnte es grundsätzlich ab, Tarifverträge abzuschließen, die für einzelne Mitarbeitergruppen zu unterschiedlichen Tarifregelungen führen könnten. Darüber hinaus betrachtete sie die Forderungen der GDL als jenseits jeder Diskussionsfähigkeit. Die GDL führte nach Ablauf der Friedenspflicht Anfang Juli regionale Warnstreiks durch, die in letzter Minute am 10.7. vom Mainzer und Düsseldorfer Arbeitsgericht untersagt wurden. In einer Urabstimmung sprachen sich 95,8 % der Lokführer in der GDL für Streik aus. In einem Eilverfahren verhängte das vom Arbeitgeber angerufene Arbeitsgericht Nürnberg am 8.8. ein bundesweites Streikverbot gegen die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), was auf heftigen Protest nicht nur der GDL, sondern auch der DGB-Gewerkschaften sowie zahlreicher Arbeitsrechtler unterschiedlicher Provenienz stieß. In einem Vergleich erklärte sich die GDL zu einem befristeten Streikverzicht bereit.

Nach zweiwöchigen Moderationsgesprächen unter Leitung der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler einigten sich die Parteien am 28.8. auf ein Verfahren der Problemlösung. Bis 30.9. sollte es keine weiteren Arbeitsniederlegungen geben. Die Deutsche Bahn sollte parallele Tarifverhandlungen mit der GDL einerseits und den anderen beiden Gewerkschaften Transnet und GDBA andererseits aufnehmen. Dabei sollte die GDL über Entgelte und Arbeitszeiten für die Lokführer verhandeln können. Vorgesehen war eine enge Abstimmung mit den anderen beiden Bahn-Gewerkschaften Transnet und GDBA. Ziel waren "konflikt- und widerspruchsfreie" Ergebnisse für den gesamten Konzern.

Dieses Verfahren scheiterte, sodass die GDL am 5.10. zu Streiks im Nahverkehr aufrief, nachdem das Arbeitsgericht Chemnitz Arbeitsniederlegungen im Fern- und Güterverkehr aus Gründen der Verhältnismäßigkeit untersagt hatte. Weitere Streiks folgten am 12.10. Am 15.10. legte die Bahn ein neues Angebot vor. Es sah - wie bisher - die Übernahme des Tarifabschlusses mit der Tarifgemeinschaft von Transnet und GDBA vor. Zusätzlich könnten ArbeitnehmerInnen noch im Jahr 2007 1.400 € erhalten, in dem sie sich aufgelaufene Überstunden auszahlen lassen. Im Jahr 2008 könnten zusätzlich zu den 4,5 % weitere 5,0 % mehr Lohn hinzukommen durch eine bezahlte Verlängerung der Arbeitszeit von 41 auf 43 Stunden. Die GDL kritisierte dies als "in jedem Fall unzureichend" und rief für den 18.10. erneut zu Streiks auf. Weitere Streiks folgten am 25. und 26.10. Nachdem das Landesarbeitsgericht Chemnitz das Streikverbot für den Fern- und Güterverkehr am 2.11. aufgehoben hatte, kam es vom 8. bis 10.11. und vom 14. bis 17.11. zu Streiks in diesen Bereichen in zahlreichen Städten im gesamten Bundesgebiet.

Unterdessen führten Transnet/GDBA ihre zwischenzeitlich wieder aufgenommenen Verhandlungen für einen neuen Entgeltrahmentarifvertrag weiter und einigten sich am 29.11. auf ein Zwischenergebnis: Danach werden den Beschäftigten bis Ende 2010 Einkommenssteigerungen von individuell mindestens 10 % garantiert. Die Einkommenssteigerungen der Einkommensrunden werden dabei angerechnet. Für die Einführung der neuen Entgeltstruktur wird ein Volumen von 4 % der Lohn- und Gehaltssumme des Jahres 2007 bereitgestellt. Das Tarifvertragswerk soll aus einem funktionsübergreifenden Basistarifvertrag und sechs funktionsspezifischen Tarifverträgen bestehen. In letzteren sollen die spezifischen Arbeitszeit- und Entgeltregelungen für die jeweiligen Tätigkeiten/Tätigkeitsgruppen geregelt werden.

Es folgten zahlreiche Gespräche zwischen GDL und Deutscher Bahn, die von ständigem Scheitern bedroht waren und nur durch mehrere Spitzengespräche (5.12. und 21.12.) unter Einschaltung von Bundesverkehrsminister Tiefensee in Gang gehalten wurden. Am 12.1.2008 einigten sich Bahnchef Mehdorn und GDL-Vorsitzender Schell auf folgende Eckpunkte für die Lokführer:

  • eine Einmalzahlung von 800 € für den Zeitraum vom 1.7.2007 bis 29.2.2008,
  • eine Entgeltvolumenerhöhung um 8 % ab 1.3.2008 und
  • nochmals um 3 auf dann 11 % vom 1.9.2008 bis zum 1.2.2009.

Ab 1.2.2009 soll sich die wöchentliche Arbeitszeit auf dann 40 Stunden bei gleichem Entgelt verringern. Zusätzlich soll eine neue Entgeltstruktur für Lokomotivführer eingeführt werden, die die Berufserfahrung und die Qualifikationen berücksichtigt. Alle Lokomotivführer sollen am 1.3.2008 in diese neue Entgeltstruktur überführt werden. Dadurch soll die Spannbreite der jeweiligen individuellen Lohnerhöhungen der Lokomotivführer zwischen 7 und 15 % liegen. Die Details des Tarifvertrages sollen bis Ende Januar 2008 ausverhandelt sein. Wie sich diese dann mit den Ergebnissen der laufenden Entgeltstrukturverhandlungen von Transnet/GDBA vertragen und ob sie sich "widerspruchsfrei" in das bestehende Tarifwerk einfügen, wird im Einzelnen zu prüfen sein. Für eine abschließende Bewertung ist es jedenfalls zu früh.

Auch die tarifpolitischen und -rechtlichen Konsequenzen der verschiedenen Verfahren vor den Arbeitsgerichten sind noch nicht absehbar. So hat die Deutsche Bahn AG am 24.12.2007 "pro forma" Verfassungsbeschwerde gegen die Aufhebung des Streikverbots durch das LAG Chemnitz eingelegt. Überdies wird möglicherweise auch die (rechts-)politische Diskussion über eine mögliche Begrenzung des Streikrechts weiter anhalten.

Quelle: WSI-Tarifbericht 2007

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