Quelle: WSI
TarifarchivTarifrunde 2005: Druck- und Papierindustrie
In beiden Branchen waren zweijährige Abschlüsse aus dem Jahr 2003 Ende März 2005 ausgelaufen. Sie hatten in der Druckindustrie eine zweistufige Tariferhöhung von 1,5 % (2003) und 1,7 % (2004) gebracht. In der Papierverarbeitung waren die Tarife um 2,0 % (2003) und 2,3 % (2004) erhöht worden.
In der Papierverarbeitung waren die Tarife um 2,0 % (2003) und 2,3 % (2004) erhöht worden. Am 16.2.2005 beschlossen die zentralen Tarifkommissionen der Druckindustrie und der Papierverarbeitung als tarifpolitische Forderung eine Anhebung der Löhne und Gehälter um 3,7 % ab 1.4.2005 mit einer Laufzeit von 12 Monaten.
Zur Begründung verwiesen sie auf die "deutlich verbesserte wirtschaftliche Lage" in der Druckindustrie und auf die "anhaltend stabile Situation" in der Papierverarbeitung. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) sah sich in einer extrem schwierigen Ausgangsposition, weil die Arbeitgeberverbände beider Branchen bereits 2004 die Manteltarifverträge gekündigt und massive Einschnitte in tarifliche Regelungen und Leistungen gefordert hatten.
Druckindustrie
In der Druckindustrie hatten die Tarifparteien den Manteltarifvertrag neu verhandelt, ohne jedoch zu einer Einigung gekommen zu sein. Die Arbeitgeber forderten u.a.:
- Einbeziehung des Samstags in die Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit
- Wegfall von Freischichten, Altersfreizeit und des Zusatzurlaubs im Tiefdruck.
- Möglichkeit zur Arbeitszeitverlängerung um bis zu 5 Stunden ohne Lohnausgleich zur Beschäftigungssicherung.
- Mehrjährige Ausgleichszeiträume für die regelmäßige Arbeitszeit.
- Streichung von Sonderentschädigungen für "ungünstigen Arbeitsbeginn" und "verkürzte Ruhezeiten".
- Einfrieren und Wegfall der "Antrittsgebühr" für ungünstige Arbeitszeiten.
- Reduzierung zahlreicher Zuschläge für Neueingestellte.
- Öffnungsklauseln: Möglichkeit zum vollständigen oder teilweisen Wegfall der Jahresleistung bzw. eine Verschiebung der Fälligkeit durch freiwillige Betriebsvereinbarung.
Ver.di kritisierte die Forderungen als Lohnsenkungs- und Arbeitsplatzvernichtungsprogramm und setzte bereits im Frühjahr 2004 folgende Eckpunkte dagegen:
- Abgeltung von Überstunden und Zuschlägen ganz oder teilweise in Freizeit.
- Einbau des (modifizierten) Beschäftigungssicherungstarifvertrages in den Manteltarifvertrag.
- Weitere Regelungen zur Beschäftigungssicherung und Qualifizierung (bezahlte Qualifizierungsfreistellung).
- Tarifliche Rahmenbedingungen für betriebliche Gleitzeitvereinbarungen und Arbeitszeitkonten.
Verhandlungen
In den ersten sechs Runden bewegte sich am Verhandlungstisch so gut wie nichts. Die Positionen der Tarifparteien waren diametral entgegengesetzt. Die Situation verschärfte sich dadurch, dass die Druckarbeitgeber zur Jahresmitte den Manteltarifvertrag zu Ende März 2005 kündigten. Zeitgleich kündigten die Arbeitgeber in einigen Konzernbetrieben der Druckindustrie die Betriebsvereinbarungen zur Arbeitzeit, um bereits vor einer tariflichen Einigung verschlechterte Bedingungen durchzusetzen.
Es schlossen sich weitere Verhandlungsrunden an, die die Blockade nicht auflösen konnten. Der Bundesverband Druck und Medien (bvdm) rechnete bereits im September 2004 damit, dass die Auseinandersetzung ohne Streik nicht zu lösen sein werde. Im Januar 2005 präsentierte der Verband weitere Forderungen zur Verschlechterung bei der Maschinenbesetzung und Bezahlung im Tiefdruck und im Zeitungsdruck. Ver.di bot den Arbeitgebern an, unter Berücksichtigung des gesamten Produktionsprozesses Neuregelungen bei der Maschinenbesetzung zu verhandeln.
Am 16.3. fand die erste Lohnverhandlung statt. Die Arbeitgeber bezeichneten die gewerkschaftliche Forderung als "völlig realitätsfremd". Ver.di wies darauf hin, dass die Umsatzsteigerung von 3,1 % und der Zuwachs der Produktivität von über 6 % im Jahr 2004 eine deutliche Aufwärtsentwicklung zeigten. Nach Ende der Friedenspflicht Ende April kam es Anfang Mai zu ersten bundesweiten Warnstreiks. Bis Mitte Juni beteiligten sich zehntausende Beschäftigte aus 190 Betrieben an den zum Teil ganz- und mehrtägigen Kampfmaßnahmen. Die Tarifparteien vereinbarten einen letzten Verhandlungsversuch für den 14.6. Nach einem 22-stündigen Verhandlungsmarathon, das vorübergehend vor dem endgültigen Scheitern stand, gelang dann am 15.6. die Einigung mit folgenden Eckpunkten:
Ergebnis
Arbeitszeit
- Beibehaltung der 35-Stunden-Woche und der Verteilung auf Montag bis Freitag.
- Regelmäßige Samstagsarbeit möglich, wenn es um "termingerechte" Produkte geht.
- Flexible Arbeitszeitkonten: bis zu 220 Plus-Stunden und bis zu 70 Minus-Stunden.
- Freischichten-Regelung für Schichtarbeiter: ab 40 Jahre 1 Tag, ab 50 Jahre 2 Tage, ab 55 Jahre 3 Tage im Jahr.
- Wegfall der 2 Altersfreizeittage für Beschäftigte unter 58 Jahre.
- Tiefdruckzusatzurlaub entfällt in 3 Schritten bis 2009.
Beschäftigungssicherung
- Der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung wird Bestandteil des Manteltarifvertrages.
- Bei Absenkung/Streichung von Urlaubsgeld bzw. Jahresleistung Ausschluss betriebsbedingter Kündigung im Folgejahr bei Verfahrensbeteiligung und Zustimmung der Tarifparteien.
- Übernahme von Auszubildenden für 12 Monate.
Zuschläge:
- Kürzung der Überstundenzuschläge um 5 Prozentpunkte.
- Gestaffelte Reduzierung der Samstagszuschläge (Früh: von 30 auf 25 %, Spät: von 65 auf 45 %, Nacht: von 85 auf 70 %).
- Einfrieren der Antrittsgebühr.
- Wegfall des Zuschlags für ungünstig liegenden Arbeitsbeginn sowie für Unterschreitung der Ruhezeiten.
- Regelungen für Sonntags-, Nacht- und Feiertagsarbeit unverändert.
Besetzungsregeln
- Reduzierungen im Bereich von Offsetrotationen und Tiefdruck; Erhalt von Kündigungsschutz und Besitzstand
- Wiederinkraftsetzen der Maschinenbesetzungen
Lohn und Gehalt
- Einmalzahlung von 340 € für den Zeitraum von April 2005 bis März 2006 (Auszubildende: 75 €); Auszahlung im September,
- Erhöhung der Tarifvergütung um 1 % ab 1.4.2006; Laufzeit bis 31.3.2007.
Bewertung
Die Bewertung dieses Abschlusses durch die Tarifparteien fiel sehr gegensätzlich aus: Ver.di stellte ins Zentrum seiner Einschätzung den Erhalt der 35-Stunden-Woche als tariflicher Regelarbeitszeit sowie den Umstand, dass es auch künftig keine (rein) betrieblichen Öffnungsklauseln gibt, die ein Abweichen von den Tarifstandards ohne Zustimmung der Tarifparteien zulassen. Damit konnten zwei aus Arbeitgebersicht zentrale Forderungen abgewehrt werden. Positiv bewertete die Gewerkschaft auch, dass die Regelungen zur Beschäftigungssicherung und zur Übernahme der Auszubildenden tariflich verankert wurden. Insgesamt konnte der Manteltarifvertrag bis Ende 2009 wieder in Kraft gesetzt werden.
Aus Sicht des Bundesverbandes Druck und Medien schlagen vor allem die Arbeitszeitkonten und die Erweiterung der Samstagsarbeit positiv zu Buche. Auch die neuen Zuschlags- und Freischichtenregelungen führten zu einer "gewissen" Erleichterung für die Betriebe, "wenn auch nicht in dem Maße, wie es sich die Arbeitgeber zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Branche gewünscht hätten". Letztlich habe der Verband Zugeständnisse machen müssen, um einen "erträglichen und der wirtschaftlichen Situation angemessenen Lohnabschluss zu bekommen".
Papier verarbeitende Industrie
In der Papier verarbeitenden Industrie kündigten die Arbeitgeber im September vergangenen Jahres den Manteltarifvertrag zum Jahresende 2004. Bereits im Juni 2004 hatten sie einen detaillierten Katalog zur Verschlechterung manteltariflicher Regelungen vorgelegt, der den Forderungen der Druckarbeitgeber sehr ähnlich war. Auch ihnen ging es um einen Arbeitszeitkorridor zur Verlängerung der Arbeitszeit um bis zu 5 Stunden in der Woche (mit oder ohne Lohnausgleich) ohne Beteiligung der Tarifparteien, um die Einbeziehung des Samstags in die Regelarbeitszeit, Veränderung von Zuschlägen, Öffnungsklauseln ohne Zustimmung der Gewerkschaften. Die Übernahmeregelung von Ausgebildeten sollte gestrichen und die mögliche Dauer befristeter Beschäftigung tariflich von zwei auf vier Jahre ausgeweitet werden.
Am 11.11.2004 starteten die Verhandlungen zum Manteltarifvertrag. Weitere Termine folgten am 6.12.2004 und 20.1.2005. Ver.di wandte sich strikt gegen die Arbeitgeber-Forderungen und verlangte von den Arbeitgebern, konkrete Beispiele dafür zu bringen, warum der Tarifvertrag in seiner jetzigen Form die Unternehmen zu sehr einenge. Statt über die Verschlechterung des Manteltarifvertrages zu reden, sollte über die qualitative Weiterentwicklung des Tarifvertrages zur Beschäftigungssicherung, die Wandlung von Überstunden und Zuschlägen in Zeit sowie über die tarifliche Regelung von Arbeitszeitkonten verhandelt werden. In der vierten Verhandlungsrunde am 14.2. brachen die Arbeitgeber der Papierverarbeitung die Verhandlungen ohne weiteren Termin ab. Sie kündigten an, nun den "Marsch durch die Betriebe" machen und ihre Forderungen von Betrieb zu Betrieb durchsetzen zu wollen.
Anfang März rief ver.di deshalb erstmals zu Warnstreiks auf, an denen sich über 10.000 Beschäftigte beteiligten. Ende März folgte eine weitere mehrtägige Warnstreikwelle. Die erste Verhandlungsrunde zu Lohn und Gehalt fand am 5.4.2005 statt. Es wurden drei weitere Termine 6.4., 26.4. und 18.5. vereinbart. Parallel dazu fanden die Manteltarifverhandlungen statt. Doch waren dort keinerlei Fortschritte zu erzielen. Weitere Warnstreikaktionen folgten. Anfang Juni kündigte ver.di deshalb eine Urabstimmung an, die vom 20. bis 24. Juni durchgeführt wurde. Darin sprachen sich 89,3 % der Mitglieder für Streik aus. Für den 28.5. wurde in Berlin ein neuer Verhandlungstermin angesetzt, der nach ver.di-Auffassung eine letzte Chance zur Einigung darstellte. Sie konnte allerdings nicht genutzt werden. Die Arbeitgeber beharrten darauf, Möglichkeiten zur Arbeitszeitverlängerung bis hin zu einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden - ohne verbindliche Beschäftigungssicherung - zum Gegenstand rein betrieblicher Vereinbarungen zu machen. Ver.di hatte u.a. folgende Angebote gemacht: Bezahlte und befristete Verlängerung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden aus dringenden wirtschaftlichen Gründen bei Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen; unbezahlte Verlängerung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen, unter Verhandlungsbeteiligung und mit Zustimmung von ver.di und mit Beschäftigungssicherung; Verlängerung des Ausgleichszeitraums bei ungleichmäßiger Verteilung der Arbeitszeit von 52 auf 78 Wochen; Möglichkeit der teilweisen oder vollständigen Streichung der Jahressonderzahlung unter Verhandlungsbeteiligung und mit Zustimmung der Tarifparteien bei beschäftigungsgefährdender wirtschaftlicher Notlage auf betrieblicher Ebene.
Nach Auffassung von ver.di hat der Arbeitgeberverband "gezielt darauf hingearbeitet, einen fairen Tarifkompromiss zu verhindern". Die Gewerkschaft kündigte an, nun die einzelnen Unternehmen und Konzerne der Branche zu Tarifverhandlungen auffordern. Im besten Fall wird das nach Auffassung des stellvertretenden ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke dazu führen, dass der Arbeitgeberverband zur Besinnung kommt und auf einen verantwortungsbewussten Kurs der Tarifpolitik einschwenkt. Andernfalls werde die Papierverarbeitung zukünftig durch Konzern- und Haustarife geprägt sein, vielleicht ergänzt durch Tarifverträge mit Verbünden von Unternehmen, die sich in einer Region oder einer Teilbranche zusammenfinden.
Nach dem Scheitern der Manteltarifverhandlungen machten die Arbeitgeber noch ein Lohnangebot, das 240 € für 2005 und 1,0 % Tarifanhebung für 2006 vorsah. Darüber soll am 15.7.05 weiterverhandelt werden.
Auszug aus: WSI-Tarifbericht 1. Halbjahr 2005