Quelle: WSI
TarifarchivTarifrunde 2014: Ein kurzer Überblick
Zwei politische Themen dominierten das Tarifjahr 2014: Die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns und die geplante gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit. Sie beeinflussten auch die praktische Tarifpolitik, etwa in den Niedriglohnbranchen und bei der Deutschen Bahn AG. Ansonsten setzte die Tarifrunde 2014 die positive Entwicklung des Vorjahres fort. In vielen Branchen und Tarifbereichen wurden Tariferhöhungen von über 3 Prozent durchgesetzt. Die jahresbezogene Tarifsteigerung führte wegen der sehr niedrigen Inflationsrate zu einem realen Anstieg der Tarifentgelte um rund 2 Prozent. Die aktuelle Tarifrunde 2015 steht unter leicht verbesserten wirtschaftlichen Vorzeichen.
Das politische Umfeld der Tarifrunde wurde maßgeblich durch die Große Koalition geprägt, die im Dezember 2013 ihre Arbeit aufgenommen hatte. Im Koalitionsvertrag wurden unter der Überschrift „Modernes Arbeitsrecht“ einige Reformvorhaben angekündigt, die auch tarifpolitisch relevant sind. Dazu gehören die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, die gesetzliche Festschreibung des Grundsatzes der Tarifeinheit, die Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen sowie Regelungen im Bereich von Leiharbeit und Werkverträgen. Die im Mindestlohngesetz vorgesehene zweijährige Übergangsfrist führte zu einer Reihe von Tarifverträgen im Niedriglohnbereich, die schrittweise das Niveau des Mindestlohns von 8,50 €/Std. erreichen werden. Das geplante Tarifeinheitsgesetz beeinflusste den Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG, wo die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) über neue Tarifverträge verhandelten. Während das Mindestlohngesetz – bei aller Kritik im Einzelnen – weithin als großer sozialpolitischer Fortschritt gewertet wurde, löste der Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes eine sehr lebhafte politische und juristische Diskussion aus, die quer durch alle politischen Lager verlief.
Überraschend entwickelte sich im Sommer 2014 eine lohnpolitische Debatte, die von Äußerungen des Chefvolkswirts der Bundesbank, Jens Ulbrich, im SPIEGEL angestoßen wurde (Spiegel 30/2014). Er hatte die Lohnentwicklung vor dem Hintergrund der guten konjunkturellen Lage, der niedrigen Arbeitslosigkeit und der günstigen Perspektiven als „durchaus moderat“ charakterisiert und sich für ein Ausschöpfen des Verteilungsspielraums aus Zielinflationsrate der EZB und Produktivitätsentwicklung stark gemacht. Hintergrund war die zunehmende Sorge um eine deflationäre Entwicklung in Europa, der durch eine entsprechende Lohnentwicklung entgegengewirkt werden sollte. Ähnlich äußerten sich der EZB-Chefvolkswirt Peter Praet und Vertreter anderer Institutionen.
Die ökonomischen Rahmenbedingungen der Tarifrunde 2014 waren erkennbar besser als die des vergangenen Jahres, denn die konjunkturelle Situation hatte bereits 2013 einen relativ günstigen Verlauf genommen. Das Bruttoinlandsprodukt war seit dem zweiten Quartal 2013 durchweg gestiegen, allerdings blieben die Raten kalender- und saisonbereinigt noch auf bescheidenem Niveau. Im ersten Quartal 2014 hellte sich der Konjunkturhorizont zunächst weiter auf, die Wirtschaftsforschungsinstitute hoben ihre Prognosen schrittweise an. Dies schlug sich auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg 2013 um gut 230.000 (+0,6 %) auf 41,84 Mio. an, bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten fiel der Anstieg mit +1,2 % auf 29,27 Mio. höher aus. Allerdings stieg die Zahl der registrierten Arbeitslosen noch an, was nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit vor allem damit zusammenhing, dass die Entlastungswirkung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen geringer ausfiel (BA 2014, 42).
Die Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften bewegten sich in der diesjährigen in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Für den privatwirtschaftlichen Bereich war die Forderung der IG BCE von 5,5 % für die chemische Industrie eine wichtige Orientierungsgröße. Allerdings gab es davon auch deutliche Abweichungen. Im Bauhauptgewerbe belief sich das tarifpolitische Forderungsvolumen der IG BAU auf insgesamt 7,0 %, es beinhaltete neben einer Lohnerhöhung auch weitere Forderungen etwa zur Fahrtkostenerstattung, zur Rentenbeihilfe u. a. m. und markierte damit das obere Ende des Spektrums. Deutlich niedriger fiel die Tarifforderung mit 4,5 % in der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie aus.
In dieser Tarifrunde spielten auch Forderungen mit einer ausgeprägten „sozialen Komponente“ eine wichtige Rolle. Für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Bund und Gemeinden) forderte ver.di z.B. eine Erhöhung der Entgelte um 100 € und eine zusätzliche Anhebung von 3,5 %.
Neben den reinen Entgeltforderungen wurden in einigen Tarifbereichen auch qualitative Tarifforderungen aufgestellt: Sie bezogen sich u. a. auf die Übernahme der Ausgebildeten, die Weiterentwicklung von Demografie-Tarifverträgen, die Fortschreibung von Altersteilzeitregelungen und die betriebliche Altersversorgung. In der Stahlindustrie forderte die Gewerkschaft Regelungen zur fairen Gestaltung von Werkverträgen.
Wegen der lang laufenden Abschlüsse aus den Vorjahren gab es in einigen Branchen in diesem Jahr keine Lohnrunde. Das galt beispielsweise für die Metall- und Elektroindustrie, den Einzelhandel sowie den Groß- und Außenhandel und den öffentlichen Dienst (Länder).
Abschlüsse
Die Tarifparteien für die chemische Industrie setzten mit ihrem Abschluss vom 05.02. eine erste zentrale Orientierungsgröße. Er sieht eine Anhebung der Entgelte nach einem Nullmonat um 3,7 % vor, die Gesamtlaufzeit beträgt 14 Monate.
Der zweite wichtige Abschluss des Tarifjahres erfolgte im öffentlichen Dienst (Bund und Gemeinden) in der 3. Verhandlungsrunde am 01.04. nach zwei bundesweiten Warnstreikwellen. Er sieht eine Tariferhöhung von 3,0 %, mindestens 90 € monatlich, ab März 2014 vor, gefolgt von einer Stufenerhöhung um 2,4 % ab März 2015 bei einer Laufzeit von 24 Monaten bis Februar 2016.
Besonders konfliktreich gestaltete sich die Tarifrunde für die Redakteur/innen an Tageszeitungen, die am 24.04. mit folgendem Ergebnis abgeschlossen wurde: Nach neun Nullmonaten steigen die Gehälter um 2,5 % ab Mai 2014 sowie um weitere 1,5 % ab April 2015 bei einer Laufzeit von 29 Monaten bis Dezember 2015. Außerdem wurde ein neuer Manteltarifvertrag mit einer Laufzeit von fünf Jahren bis Dezember 2018 abgeschlossen, der u. a. den schrittweisen Abbau von Urlaubsgeld und Jahresleistung von 1,75 auf 1,5 Monatsgehälter sowie eine Begrenzung des Urlaubsanspruches auf 30 Tage für Neueingestellte vorsieht.
Jenseits der regulären Lohn- und Gehaltsrunde wurden in einigen Branchen auch tarifliche Mindestlöhne ausgehandelt. Dabei wirkte sich die absehbare Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes sehr verhandlungsfördernd aus: Im Januar 2014 einigten sich die Tarifparteien in der Fleischindustrie und im Juli in der Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau auf die Einführung und stufenweise Anhebung branchenbezogener Mindestlöhne. Im Taxigewerbe und im Hotel- und Gaststättengewerbe scheiterten dagegen entsprechende Verhandlungen.
Einen besonderen Raum nahm 2014 der Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG ein: Im Sommer endeten nicht nur die Entgelttarifverträge, sondern auch der Grundlagentarifvertrag, der seit 2008 die tarifliche Zuständigkeit von EVG und GDL für die verschiedenen Beschäftigtengruppen regelte. Der Konflikt um die Zuständigkeit brach erneut auf. Dabei spielte die von der Bundesregierung geplante gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit eine zentrale Rolle. Die GDL stellte tarifliche Lohn- und Arbeitszeitforderungen für die Lokomotivführer und neu auch für das sonstige Zugpersonal (Zugbegleiter, Bordgastronomen, Lokomotivrangierführer u. a.), die EVG stellte daraufhin Tarifforderungen für alle Beschäftigten der Deutschen Bahn AG einschließlich der Lokführer, die in den vergangenen Jahren in den tariflichen Zuständigkeitsbereich der GDL gehörten. Nach mehreren Verhandlungsrunden der DB AG mit beiden Gewerkschaften und fünf Streikwellen seitens der GDL wurde zunächst nur eine Zwischenlösung vereinbart: Die GDL akzeptierte eine Einmalzahlung von 510 Euro für das Jahr 2014 für die Beschäftigten in allen von ihr genannten Beschäftigtengruppen. Die weiteren Verhandlungen wurden auf 2015 vertagt.
Übersicht 1: Tarifforderungen und -abschlüsse in der Tarifrunde 2014
Abschluss |
Tarifbereich |
Forderung |
Lohn, Gehalt, Entgelt |
|
|
2014 |
2015 |
||
05.02. |
Chemische Industrie |
5,5 % |
1 Nullmonat 3,7 % regional unterschiedlich ab 02/03/04/2014, |
|
11.02. |
Süßwaren-industrie |
6,0 % |
1 Nullmonat 3,0 % ab 03/2014 |
2,6 % ab 03/2015, LZ 23 Mon. bis 12/2015 |
14.02. |
Tarifgemeinschaft Energie |
5,0 % 5,8 % (ver.di) |
2,4 % ab 02/2014 |
2,1 % ab 02/2015, LZ 24 Mon. bis 01/2016 |
12.03. |
Maler- und Lackierer-handwerk |
50 € Pauschale für 5 Mon. 3,2 % ab 03/2014 (Ost: zusätzl. Angleichungsschritte) |
2,55 % ab 06/2015, LZ 31 Mon. bis 04/2016 |
|
25.03. |
Brauereien |
3,0 % ab 03/2014 |
2,7 % ab 03/2015, LZ 24 Mon. bis 02/2016 |
|
01.04. |
Öffentlicher Dienst (Bund, Gemeinden) |
100 € |
3,0 % , mind. 90 € mtl. ab 03/2014 |
2,4 % ab 03/2015, LZ 24 Mon. bis 02/2016 |
09.04. |
Deutsche Telekom AG |
5,5 %, untere Gruppen stärker |
2 Nullmonate 2,9 % ab 04/2014, Beschäftigte in den oberen Entgeltgruppen 2,5 % |
2,1 % ab 02/2015, LZ 24 Mon. bis 01/2016 |
14.04. |
Druckindustrie |
5,5 % |
4 Nullmonate 3,0 % ab 05/2014 |
1,0 % ab 04/2015, LZ 27 Mon. bis 03/2016 |
24.04. |
Tageszeitungen (RedakteurInnen) |
5,5 % |
9 Nullmonate 2,5 % ab 05/2014 |
1,5 % ab 04/2015, LZ 29 Mon. bis 12/2015 |
06.05. |
Bauhaupt-gewerbe |
7,0 % |
1 Nullmonat 3,1/3,8 % West/Ost ab 06/2014 |
2,6/3,3 % West/Ost ab 06/2015, LZ 24 Mon. bis 04/2016 |
19.05. |
Hotels und Gaststätten Saarland |
125 € Pauschale für 5 Mon. 3,0 % ab 06/2014 |
2,5 % ab 01/2015, LZ 24 Mon. bis 12/2015 |
|
23.05. |
Holz und Kunststoff |
4,5 % |
160 € Pauschale für 4 Mon. 3,0 % ab 09/2014, LZ 20 Mon. bis 12/2015 |
|
03.06. |
Feinkeramische Industrie |
5,0% |
3,1 % regional unterschiedlich ab 07/08/2014, |
|
12.06. |
Metallhandwerk |
5,5 % |
1 Nullmonat 1,8 % ab 08/2014 |
2,0 % ab 03/2015, 1,8 % ab 01/2016, LZ 24 Mon. bis 06/2016 |
23.06. |
Privates Transport- und Verkehrsgewerbe |
5,5 % |
1 Nullmonat 2,0 % ab 07/2014 |
3,2 % ab 07/2015, LZ 27 Mon. bis 08/2016 |
30.06. |
Bankgewerbe |
100 € |
2 Nullmonate 2,4 % ab 07/2014 |
2,1 % ab 07/2015, 150 € Einmalzahlung, LZ 24 Mon. bis 04/2016 |
07.07. |
Kautschuk-industrie |
5,5 % |
1 Nullmonat 3,3 % ab 08/2014 |
2,8 % ab 09/2015, LZ 23 Mon. bis 05/2016 |
08.07./ |
Eisen- und Stahlindustrie Nordwest-deutschland/Ost |
5,0 % |
1 Nullmonat 2,3 % ab 07/2014 |
1,7 % ab 05/2015, LZ 17 Mon. bis 10/2015 |
30.10. |
Papier verarbeitende Industrie |
5,5 % |
3 Nullmonate 2,4 % ab 12/2014 |
2,6 % ab 11/2015, LZ 26 Mon. bis 10/2016 |
13.11. |
Textil/Bekleidung |
5,0 % |
2 Nullmonate |
300 € Pauschale für 5 Mon. 60 € Sockel ab 06/2015 2,4 % ab 06/2016, LZ 27 Mon. bis 01/2017 |
LZ: Laufzeit, Mon.: Monate
Quelle: WSI-Tarifarchiv Stand: Dezember 2014