Quelle: WSI
TarifarchivTarifrunde 2005: Ein kurzer Überblick
Eine klassische Lohnrunde mit ausschließlich einkommensbezogenen Verhandlungen in allen zentralen Branchen fand in diesem Jahr nicht statt. Der Auftakt der Tarifrunde 2005 war geprägt von den Verhandlungen um ein vollständig neues Tarifwerk im öffentlichen Dienst. Nach rund zweijährigen Verhandlungen gelang den Tarifparteien ein Abschluss, bei dem die Vereinbarung über die Anhebung der Tarifentgelte nur einen Bestandteil unter anderen darstellte.
Deshalb konnte der Abschluss auch keine Pilotwirkung für die anderen Branchen entfalten. Im Mittelpunkt des weiteren Interesses standen zunächst die Stahlindustrie, die chemische Industrie und auch das Bauhauptgewerbe - drei Branchen mit sehr unterschiedlichen ökonomischen Rahmenbedingungen und tarifpolitischen Problemen. Die Metallindustrie nahm aufgrund des zweijährigen Abschlusses vom Frühjahr 2004 an der diesjährigen Tarifrunde nicht teil.
Die ökonomischen Rahmenbedingungen stellten sich gegenüber dem Vorjahr nicht grundlegend verbessert dar. Der Sachverständigenrat prognostizierte im Herbst 2004 sogar eine leichte Abschwächung des Wachstums von 1,8 % in 2004 auf 1,4 % für 2005. Auch die Wirtschaftsforschungsinstitute lagen in ihrer Herbstprognose mit 1,5 % auf dieser Höhe. Als treibende Kraft wurde für 2005 wiederum der Export ausgemacht mit einer Steigerung des Außenbeitrages um rund 6 % bei gleichzeitiger Stagnation des privaten wie öffentlichen Konsums. Für den Arbeitsmarkt wurde allenfalls ein geringer Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen erwartet, während die registrierte Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau stagnieren sollte. Die tatsächliche Entwicklung im ersten Halbjahr 2005 brachte ein Wachstum von 0,9 % gegenüber dem Vorjahr, nicht zuletzt aufgrund der Hartz IV-Reform stieg die Arbeitslosenzahl auf über 5 Mio.
Das politische Klima war gegenüber den Vorjahren insofern etwas verändert, als die rot-grüne Bundesregierung vor dem Hintergrund der katastrophalen Arbeitsmarktlage und der schlechten Landtagswahlergebnisse in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen bemüht war, ein besseres Verhältnis zu den Gewerkschaften herzustellen. Das wurde u. a. daran deutlich, dass sie den Entwurf eines auf alle Branchen erweiterten Entsendegesetzes zur Festsetzung von Mindestlöhnen in das Gesetzgebungsverfahren einbrachte. Auch entdeckten führende SPD-Politiker plötzlich den ökonomischen Sinn stärkerer Lohnerhöhungen zur Belebung der Binnennachfrage. Und die vom SPD-Vorsitzenden angeschobene "Heuschreckendebatte" zur Kritik der Tätigkeit ausländischer Fondsgesellschaften kann ebenfalls vor diesem Hintergrund interpretiert werden.
Bei den Lohn- und Gehaltsforderungen markierte die IG Metall mit ihrer Forderung nach einer 6,5-prozentigen Tariferhöhung für die Stahlindustrie den höchsten Wert, der zweifelsohne auch eine Reaktion auf die hervorragende Branchenkonjunktur war. In den übrigen Branchen bewegten sich die Forderungen überwiegend zwischen 3,5 und 4 % (vgl. Übersicht 1). Die IG BCE verzichtete in dieser Runde auf eine quantifizierte Forderung für ihre Hauptbranche, die chemische Industrie. Stattdessen forderte sie eine "reale Einkommenserhöhung", die auch die Produktivitätsentwicklung der Branche berücksichtigen sollte. Im öffentlichen Dienst stellte ver.di ebenfalls keine konkrete Entgeltforderung auf.
Übersicht 1:
Tarifforderungen in der Tarifrunde 2005 in ausgewählten Tarifbereichen
Branche | Lohn- und Gehaltsforderung |
---|---|
Chemische Industrie |
reale Einkommenserhöhung |
Druckindustrie |
3,7 % |
Einzelhandel NRW |
3,5 %, mind. 70 € mtl. |
Groß- und Außenhandel NRW |
4,0 %, mind. 80 € mtl. |
Holz und Kunststoff verarbeitende Industrie |
3,5 % |
Kfz-Gewerbe NRW |
Ausgleich Preissteigerung |
Öffentlicher Dienst |
keine quantifizierte Forderung |
Papierverarbeitende Industrie |
3,7 % |
Stahlindustrie |
6,5 % |
Textilindustrie Ost |
3,0 % |
Quelle: WSI-Tarifarchiv
Die Kündigungstermine der Vergütungstarifverträge lagen so, dass der öffentliche Dienst die Tarifrunde eröffnete. Hier liefen die Vergütungsverträge Ende Januar 2005 aus. Ende März folgten die Stahlindustrie, die Druckindustrie und verschiedene regionale Bereiche des Handels. Ende Mai, Juni und Juli liefen die regionalen Entgelttarifverträge der chemischen Industrie aus. Ende September folgt das Versicherungsgewerbe.
Den ersten großen Abschluss der Tarifrunde 2005 tätigte ver.di am 9.2. im öffentlichen Dienst. Parallel zur grundlegenden Reform der Tarifstrukturen durch den neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vereinbarten die Tarifparteien für die Beschäftigten beim Bund und bei den Kommunen Einmalzahlungen von jeweils 300 € für die Jahre 2005, 2006 und 2007.
Es folgte am 28.2. der Abschluss für die Deutsche Bahn AG mit einer Pauschalzahlung (nach vier Nullmonaten) von monatlich jeweils 50 € über die gesamte Laufzeit bis Juni 2007 und erst anschließend eine Tarifanhebung um 1,9 %. Die Gewerkschaft Transnet musste als Preis für eine Beschäftigungssicherung auch einer Verlängerung der Arbeitszeit von 38 auf 39 Stunden ab Juli 2005 zustimmen. Nullmonate bzw. Pauschalzahlungen finden sich auch in zahlreichen weiteren Abschlüssen dieser Tarifrunde wie z.B. im Steinkohlenbergbau, im privaten Verkehrsgewerbe NRW, in der Druckindustrie, in der ostdeutschen Textilindustrie u.a.m. (vgl. Tabelle).
Der Stahlabschluss vom 11.5. brachte zweifellos das beste Tarifergebnis des ersten Halbjahres mit einer Pauschalzahlung von insgesamt 500 € für den Zeitraum von März bis August 2005 und einer anschließenden tabellenwirksamen Tariferhöhung um 3,5 % bis Ende August 2006. Ebenfalls ganz vorne liegt die chemische Industrie mit einer Tariferhöhung um 2,7 % für 19 Monate und einer Einmalzahlung von 1,2 % bezogen auf die Laufzeit spätestens bis zum Februar 2006.
Übersicht 2:
Ausgewählte Lohn- und Gehaltsabschlüsse West und Ost für 2005
Abschluss | Tarifbereich | Ergebnis |
---|---|---|
09.02.2005 |
Öffentlicher Dienst Bund, Gemeinden West und Ost |
Einmalzahlung von je 300 € in 2005, 2006 und 2007 neue, einheitliche Entgeltstruktur für ArbeiterInnen und Angestellte ab 10/2005 |
28.02.2005 |
Deutsche Bahn AG |
nach 4 Nullmonaten (März - Juni) jew. 50 € Pauschale für Juli 2005 - Juni 2007 1,9 % zum 30.06.07 |
14.03.2005 |
Holz- und Kunststoff verarbeitende Industrie Baden-Württemberg |
40 € Pauschale für April 1,54 % ab 05/2005 - 03/2006 |
26.04.2005 |
Privates Verkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen |
nach 8 Nullmonaten (August 2004 - März 2005) 2,9 % ab 04/2005 - 04/2006 (Sonderregelung für Kraftfahrer) |
03.05.2005 |
Textilindustrie Ost |
400 € Pauschale insg. für Mai 2005 - Oktober 2006 1,8 % Erhöhung ab 11/2006 - 03/2007 |
11.05.2005 |
Stahlindustrie Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen |
500 € insg. Pauschale für April - August 3,5 % ab 09/2005 - 08/2006 |
19.05.2005 |
Stahlindustrie Ost |
Abschluss wie West |
31.05.2005 |
Kfz-Gewerbe Baden-Württemberg |
95 € Pauschale für März - Mai 2005 1,5 % ab 06/2005 - 02/2006 |
02.06.2005 |
Steinkohlenbergbau West |
400 € Pauschale für Mai 2005 - Dezember 2006 1,5 % ab 01/2007 - 12/2007 |
16.06.2005 |
Druckindustrie |
340 € Pauschale insg. für April 2005 - März 2006, 1,0 % Erhöhung ab 04/2006 - 03/2007 |
16.06.2005 |
Chemische Industrie West |
2,7 % Erhöhung regional unterschiedlich ab 06/07/08/2005 für 19 Monate Einmalzahlung von 1,2 % bezogen auf die Laufzeit spätestens zum Februar 2006 |
21.06.2005 |
Bauhauptgewerbe |
Nach 17 (Ost: 24) Nullmonaten 30 € Pauschale für West, 15 € für Berlin jew. für 09/2005 - 03/2006 1,0 % ab 04/2006 - 03/2007 (Erklärungsfrist bis 29.7.2005) |
Quelle: WSI-Tarifarchiv Stand: 06/2005
In der Druckindustrie verständigten sich ver.di und die Druckarbeitgeber erst nach sehr konfliktorischen monatelangen Verhandlungen am 16.6. auf eine Neufassung zahlreicher manteltariflicher Regelungen, wobei es der Gewerkschaft gelang, bei zahlreichen Zugeständnissen an anderer Stelle die tarifliche 35-Stunden-Woche im Kern zu verteidigen. Die Einkommensanhebung sah neben einer Pauschale von 340 € insgesamt für April 2005 bis März 2006 eine Tariferhöhung von 1,0 % ab 1.4.2006 für 12 Monate vor.
Im Bauhauptgewerbe einigten sich die Tarifparteien am 21.6. nach 15-monatigen Verhandlungen auf ein Tarifpaket, das neben einer Arbeitszeitverlängerung von 39 auf 40 Stunden eine bessere Beschäftigungssicherung und moderate Lohnsteigerungen vorsieht. Letztere beinhalten Pauschalzahlungen von jeweils 30 € für September 2005 bis März 2006 sowie eine 1 %-ige Tarifanhebung ab 1.4.2006 für ein weiteres Jahr. Zum Redaktionsschluss dieses Berichts lief noch die Erklärungsfrist.
Auszug aus: WSI-Tarifbericht 1. Halbjahr 2005