Quelle: WSI
TarifarchivTarifrunde 2010: Eisen- und Stahlindustrie
Die IG Metall befand sich vor Beginn der Stahl-Tarifrunde in einer vergleichsweise komfortablen Lage: Die guten Nachrichten über die wieder anspringende Konjunktur in Deutschland hatten sich im ersten Halbjahr 2010 deutlich verstärkt. Außerdem gehörte die Eisen- und Stahlindustrie zu den Branchen, die am frühesten und stärksten von der wieder anziehenden Weltkonjunktur profitierten und insofern wirtschaftlich besonders gut dastanden. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2010 stieg die Stahlproduktion im Vergleich zum Vorjahr um fast 68 %, die Produktivität um über 52 %, in der Folge gingen die Lohnstückkosten um mehr als ein Drittel zurück. Damit konnten die Krisenfolgen zu einem erheblichen Teil wieder wettgemacht werden.
Mit Blick auf den unter erschwerten Krisenbedingungen zustande gekommenen Abschluss vom April 2009 (350 € Pauschale für April bis Dezember 2009, 2,0 % Tarifsteigerung ab Januar 2010) waren die Erwartungen von Beschäftigten und Gewerkschaft gleichermaßen hoch. Die Einkommenstarifverträge für die nordwestdeutsche Eisen- und Stahlindustrie (Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen) sowie das Bundesgebiet Ost wurden fristgerecht zum 31.8. gekündigt. Gefordert wurde von der IG Metall eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 6,0 % bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Oliver Burkhard, IG Metall-Bezirksleiter in Nordrhein-Westfalen, formulierte: "Vom Profit des Aufschwungs müssen alle Beschäftigten profitieren.“
Für die in der Branche beschäftigten LeiharbeitnehmerInnen wurden flächentarifvertragliche Regelungen nach dem Grundsatz „Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“ angestrebt. Die tarifvertraglichen Möglichkeiten zur Gestaltung des demografischen Wandels sollten (bei nicht gekündigtem Tarifvertrag) weiterentwickelt werden, z. B. durch Erleichterungen für ältere ArbeitnehmerInnen mit dem Einstieg in verkürzte Arbeitszeiten.
Die 1. Verhandlungsrunde für die Bereiche Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen fand am 6.9. in Gelsenkirchen statt. Die IG Metall kritisierte, dass die Arbeitgeber versuchten den unbestreitbaren Aufschwung klein zu reden. Ein Angebot legten sie nicht vor, die Tarifverhandlungen werden am 17.9. fortgesetzt. Für die neuen Bundesländer starteten die Tarifverhandlungen am 22.9. In der 3. Verhandlungsrunde konnte am 30.9.2010 ein Tarifabschluss erreicht werden. In den Tagen vor der Tarifverhandlung kam es zu zahlreichen Warnstreiks, an denen sich insgesamt ca. 15.000 ArbeitnehmerInnen beteiligten. Der Abschluss beinhaltete folgende Elemente:
- Lohn und Gehalt: 150 € Pauschale für September, Tarifsteigerung um 3,6 % ab 01.10.10 bei einer Laufzeit bis 31.10.11
- Tarifvertrag zur Bezahlung von Leiharbeitnehmer nach dem Grundsatz "Gleiche Arbeit – Gleiches Geld" ab 1.1.11, Laufzeit bis 31.12.12
- unveränderte Verlängerung des Tarifvertrags "Demografischer Wandel".
Der „Tarifvertrag zur Bezahlung von Leiharbeitnehmern“ beinhaltet folgende Kernregelung: Die Stahlunternehmen sind verpflichtet darauf hinzuwirken, dass Leiharbeitnehmer im Sinne des AÜG während ihres Einsatzes im Betrieb Anspruch auf Entgelt mindestens in der Höhe haben, die sich bei Anwendung der in der Stahlindustrie gültigen Lohn- und Gehaltstabellen im Sinne des Vergleichsentgelts errechnen würde. Macht der Leiharbeitnehmer geltend, dass er kein Entgelt in Höhe dieses Vergleichsentgeltes erhalten hat, ist das Entleihunternehmen zum Schadenersatz in Höhe der Differenz verpflichtet. Diese Regelung tritt zum Jahresbeginn 2011 in Kraft.
Der am 7.10. für das Bundesgebiet Ost erreichte Tarifabschluss entspricht bei der Einkommenserhöhung und der Bezahlung von Leiharbeitnehmern dem West-Abschluss. Auch hier beteiligten sich vor der Tarifverhandlung zahlreiche Beschäftigte an Warnstreiks.
Nach dem in der 2. Verhandlungsrunde am 8./9. Dezember erreichten Tarifabschluss in der saarländischen Eisen- und Stahlindustrie erhalten auch die dort Beschäftigten eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 3,6 % (ab Januar 2011), für Dezember 2010 wird eine Pauschale von 150 € gezahlt. Die Einkommenstarifverträge laufen bis zum 31.1.2012. Darüber hinaus wurden der Abschluss eines Tarifvertrages über den Einsatz von Leiharbeit sowie die Aufnahme von Gesprächen zum flexibleren Personaleinsatz vereinbart. Die tariflichen Regelungen zur Leiharbeit sehen detaillierte Bestimmungen zur Vermeidung und Begrenzung von Leiharbeit sowie zur Begrenzung der Einsatzdauer (grundsätzlich max. 3 Monate) vor. Der Tarifvertrag schreibt ferner vor, dass durch Betriebsvereinbarung sichergestellt wird, dass die Leiharbeitnehmer das gleiche arbeitsplatzabhängige Entgelt wie ein neu eingestellter Mitarbeiter auf dem jeweiligen Stammplatz erhalten. Gleiches gilt auch für Dauer und Lage der Arbeitszeit. Die zum Einsatz kommenden Verleihunternehmen müssen der Tarifbindung unter einem von der IG Metall bzw. mit Vollmacht der IG Metall abgeschlossenen Tarifvertrag für Leiharbeit unterliegen. Bei Nichteinigung der Betriebsparteien kann eine tarifliche Schlichtungsstelle angerufen werden.
Quelle: WSI-Tarifbericht 2010