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WSI GenderDatenPortal: Erwerbsarbeit: Leiharbeit 1991-2022

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Leiharbeit ist in Deutschland ein von Männern dominierter Beschäftigungsbereich (vgl. Grafik 1). Im Jahr 2022 waren 580.000 Männer im Vergleich zu 250.000 Frauen als Leiharbeitnehmer*innen tätig. Damit stellen Frauen aktuell 30 Prozent aller Leiharbeitnehmer*innen in Deutschland. (1) Im Jahr 2022 sind 2,1 Prozent aller abhängig Beschäftigten als Leiharbeitnehmer*in tätig (Tab. 2). Für Männer (2,9 Prozent) spielt Leiharbeit dabei eine mehr als doppelt so große Rolle wie für Frauen (1,3 Prozent) (vgl. Grafik 2).

Seit Beginn der 1990er Jahre und ganz besonders in den Jahren nach 2004 hat Leiharbeit innerhalb des Beobachtungszeitraums 1991 bis 2022 stark an Bedeutung gewonnen (vgl. Grafik 1). In nur vier Jahren verdoppelte sich die absolute Zahl der Leiharbeitnehmer*innen von 385.000 (2004) auf 761.000 (2008). Als Hauptursache hierfür gelten die umfassenden Veränderungen im Zuge der Hartz-Reformen. (2) Im Jahr 2009 brach die Beschäftigung von Leiharbeitnehmer*innen infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise stark ein. Hiervon waren Männer in stärkerem Maße betroffen, sodass der Frauenanteil an allen Leiharbeitnehmer*innen im Jahr 2009 zum ersten Mal die 30 Prozent-Marke erreichte (vgl. Tab. 1). Ab 2017 ist der erneut deutliche Rückgang der Leiharbeit vermutlich seiner gesetzlichen Regulierung geschuldet, ab 2019 zudem der konjunkturellen Entwicklung. (3) Im Jahr 2022 fällt die Zahl der Leiharbeitnehmer*innen mit 830.000 Beschäftigten mehr als sechsmal so hoch aus wie 1991 (131.000 Beschäftigte).

Zu Beginn der Corona-Pandemie ab Frühjahr 2020 hat die Bundesregierung auch für Leiharbeiternehmer*innen die Möglichkeit geschaffen, Kurzarbeitergeld zu beziehen. Im ersten Halbjahr 2020 kam es dadurch zu einem massiven Anstieg der Kurzarbeitergeld- beziehenden Leiharbeitnehmer*innen. (4) Trotz dieser Maßnahme ist die Zahl der Leiharbeitnehmer*innen im Jahr 2020 insgesamt aber stark zurückgegangen. Im Jahr 2021 stieg die Zahl der Leiharbeitnehmer*innen infolge der anziehenden Industriekonjunktur wieder deutlich an, das Vorkrisenniveau wurde jedoch auch im zweiten Halbjahr 2022 noch nicht wieder erreicht. (5)

Innerhalb der letzten zehn Jahre (2013 bis 2022) ist der Anteil von Leiharbeitnehmerinnen unter allen beschäftigten Frauen etwas zurückgegangen: von 1,6 Prozent (2013) auf 1,3 Prozent (2022). Er erwies sich als recht beständig und zeigte nur geringe Veränderungen von Jahr zu Jahr (vgl. Grafik 2). Die Verbreitung von Leiharbeit unter allen beschäftigten Männern unterlag in diesen zehn Jahren weitaus größeren Schwankungen. Insgesamt ging der Anteil der Männer in Leiharbeit an allen beschäftigten Männern in diesen zehn Jahren in ähnlichem Umfang wie bei den Frauen zurück, von 3,3 Prozent (2013) auf 2,9 Prozent (2022). Der Geschlechterabstand beim Anteil von Leiharbeitnehmer*innen an allen Beschäftigten blieb damit in Deutschland zwischen 2013 und 2022 fast unverändert. Er betrug 1,7 Prozentpunkte für 2013 bzw. 1,6 Prozentpunkte für 2022.

Im regionalen Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland zeigt sich eine ähnliche Entwicklung von Leiharbeit zwischen 1991 und 2022 (Grafik 3): In beiden Teilen Deutschlands ist ein kontinuierlicher Anstieg der Zahl von Leiharbeitnehmer*innen für den Zeitraum 2013 bis 2017 zu verzeichnen sowie ein starker Rückgang in den Jahren danach. Allerdings ist das absolute Niveau von Leiharbeit in Westdeutschland – für Frauen wie Männer sowie über den ganzen Beobachtungszeitraum hinweg – mindestens viermal höher als in Ostdeutschland. Dennoch: Sowohl in Westdeutschland als auch in Ostdeutschland stellen Frauen im Jahr 2022 jeweils 30 Prozent aller Leiharbeitnehmer*innen (vgl. Tab. 3).

Innerhalb der letzten zehn Jahre (2013 bis 2022) ist der Anteil von Leiharbeitnehmer*innen unter allen beschäftigten Frauen in Westdeutschland (2022: 1,3 Prozentpunkte) und in Ostdeutschland (2022: 1,4 Prozentpunkte) vergleichbar – und hat sich auch in den letzten zehn Jahren dort auch ganz ähnlich entwickelt. Anders bei den Männern: Beschäftigte Männer in Ostdeutschland wiesen in allen zehn Jahren stets einen höheren Anteil an Leiharbeitnehmern auf (2022: 3,0 Prozent) als Männer in Westdeutschland (2022: 2,8 Prozent). Der Geschlechterabstand fiel daher in Ostdeutschland durchgängig etwas größer aus als in Westdeutschland und hat sich erstmalig im Jahr 2022 auf 0,1 Prozentpunkte angenähert (Westdeutschland: 1,5 Prozentpunkte; Ostdeutschland: 1,6 Prozentpunkte) (vgl. Grafik 4).

Gesetzgeberische Einflüsse und politischer Diskurs: Zum April 2017 traten bedeutende Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in Kraft. Die wichtigsten Neuerungen waren: a) Die (Wieder‑)Einführung einer Höchstdauer für die Überlassung an andere Betriebe von 18 Monaten und b) das Erreichen des gleichen Arbeitsentgelts (wie Stammbeschäftigte) nach nun spätestens 9 Monaten. (6) Trotz dieser Reform wird jedoch kritisiert, dass weiterhin zu viele Möglichkeiten bestehen, die Höchstüberlassungsdauer zu überschreiten. (7) Im politischen Diskurs steht Leiharbeit unter aufmerksamer Beobachtung, weil mit ihr weiterhin erhöhte Prekaritätsrisiken einhergehen:

  • Gemessen an den Medianlöhnen verdienen in Leiharbeit tätige Vollzeitbeschäftigte auch im Jahr 2022 noch durchschnittlich 38 Prozent weniger als reguläre Vollzeitbeschäftigte. (8)
  • Leiharbeit kennzeichnet sich durch eine hohe Dynamik und meist kurze Beschäftigungsdauer. (9)
  • Zudem muss Leiharbeit als „Domäne der Helfertätigkeit“ gelten: Im Jahr 2022 ist mehr als die Hälfte der Leiharbeitnehmer*innen als Helfer*in angestellt (57 Prozent). (10)
  • Generell sind Leiharbeitnehmer*innen beim Zugang zu betrieblich-beruflicher Weiterbildung und bei der beruflichen Aufwärtsmobilität deutlich benachteiligt, vor allem weil die Verleihunternehmen kein „langfristiges Interesse“ daran haben. (11)
  • Im Vergleich zu anderen Beschäftigten sind Leiharbeitnehmer*innen einem fast fünfmal höheren Risiko von Arbeitslosigkeit ausgesetzt. Mehr als ein Drittel derjenigen, die „arbeitslos werden, rutschen direkt in Hartz IV, obwohl sie vorher sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben.“ (12)
  • Schließlich scheint Leiharbeit sogar die Partnerschaft zu belasten, da sich nicht verheiratete Paare deutlich häufiger trennen, wenn ein*e Partner*in Leiharbeitnehmer*in ist. (13)

Noch nicht abschließend geklärt sind die beschäftigungspolitischen Effekte der Leiharbeit, wie etwa die Frage, ob Leiharbeit den Übergang aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung erleichtert und ob sie daher als sog. Sprungbrett in reguläre Beschäftigung gelten kann. Empirische Studien bestätigen teilweise, dass Leiharbeit zum Beschäftigungsaufbau beitragen kann. „Allerdings geht etwa die Hälfte dieser flexiblen Jobs auf Kosten der Beschäftigung in anderen Sektoren.“ (14) Einen generellen „Sprungbretteffekt“ konnten ältere Studien nicht bestätigen. (15) Hier scheint sich durch die gesetzlichen Änderungen zur Höchstüberlassungsdauer seit April 2017 jedoch etwas verändert zu haben: Die Daten für die Jahre 2017 und 2018 sowie neuere Daten aus 2019 und 2020 deuten darauf hin, dass mehr Leiharbeitnehmer*innen den Übergang in reguläre Beschäftigung beim Entleihbetrieb geschafft haben könnten. (16)

Weitere Informationen (Definitionen wichtiger Begriffe und methodische Anmerkungen zur Datengrundlage) sind in den PDF-Dateien enthalten, die zum Download bereitstehen.

 

Bearbeitung: Svenja Pfahl, Eugen Unrau

 

Literatur

Absenger, Nadine et al. (2016): Leiharbeit und Werkverträge – Das aktuelle Reformvorhaben der Bundesregierung, WSI-Report Nr. 32, 10/2016, letzter Zugriff: 27.11.2023.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2022): Evaluation des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Endbericht zum Forschungsvorhaben, letzter Zugriff: 27.11.2023.

DGB-Bundesvorstand (2019): Leiharbeit: Neue Trends und alte Probleme, letzter Zugriff: 27.11.2023.

DGB-Bundesvorstand (2015): Risiken und Reformbedarf in der Leiharbeit. In: arbeitsmarktaktuell, Nr. 8, Oktober 2015, Berlin, letzter Zugriff: 27.11.2023.

Haller, Peter/Jahn, Elke J. (2014): Zeitarbeit in Deutschland: Hohe Dynamik und kurze Beschäftigungsdauern, IAB-Kurzbericht 13/2014, Nürnberg, letzter Zugriff: 27.11.2023.

Hans Böckler Stiftung (2015): Leiharbeit belastet Partnerschaft. In: Böckler Impuls Nr. 11/2015, S. 5, letzter Zugriff: 27.11.2023.

Jahn, Elke/Weber, Enzo (2013): Zeitarbeit: Zusätzliche Jobs, aber auch Verdrängung, IAB-Kurzbericht 2/2013, Nürnberg, letzter Zugriff: 27.11.2023.

Lepper, Timo (2015): Leiharbeit in Hessen: Ein Sprungbrett in reguläre Beschäftigung? In: Wirtschaft und Statistik, 2/2015, S. 88-97, letzter Zugriff: 27.11.2023.

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2023a): Entwicklungen in der Zeitarbeit, Nürnberg, letzter Zugriff: 27.11.2023.

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2023b): Hinweise ANÜ. In: Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe, letzter Zugriff: 27.11.2023.

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2015a): Arbeitsmarkt in Zahlen – Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeitnehmer und Verleihbetriebe, 1. Halbjahr 2014.

Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2015b): Methodenbericht – Statistik zur Arbeitnehmerüberlassung auf Basis des Meldeverfahrens zur Sozialversicherung, letzter Zugriff: 27.11.2023.

 


(1) „Der hohe Männeranteil bei Leiharbeitern hängt vor allem damit zusammen, dass Arbeitnehmer mit Produktionsberufen – trotz tendenziell abnehmender Bedeutung – weiterhin einen großen Teil in der Arbeitnehmerüberlassung ausmachen. Diese Berufe sind im Allgemeinen eher Männerdomänen.“ (Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2023a): Entwicklungen in der Zeitarbeit, S. 13.)

(2) Zum Januar 2003 wurde die zuvor geltende Begrenzung der Überlassungsdauer abgeschafft. Aufgehoben wurde auch das Verbot einer wiederholten Befristung (Synchronisationsverbot), das eine Begrenzung des Arbeitsvertrages auf die Einsatzdauer bei einem Entleihunternehmen untersagte. Zudem entfiel das Wiedereinstellungsverbot, das ausschließen sollte, dass das Zeitarbeitsunternehmen kündigt und die ehemaligen Leiharbeitnehmer*innen dann innerhalb von drei Monaten erneut einstellt. Ein knapper Überblick über die Reformen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzt (AÜG) findet sich bei Haller, Peter/Jahn, Elke J. (2014): Zeitarbeit in Deutschland, S. 1ff.

(3) Vgl. Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2023a): Entwicklungen in der Zeitarbeit, S. 7.

(4) A. a. O., S. 10.

(5) A. a. O., S. 7.

(6) A. a. O., S. 5.

(7) Vgl. zu diesen und weiteren Kritikpunkten an der Reform: Absenger, Nadine et al. (2016): Leiharbeit und Werkverträge – Das aktuelle Reformvorhaben der Bundesregierung, sowie DGB (2019): Leiharbeit, S. 3.

(8) Vgl. Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2023a): Entwicklungen in der Zeitarbeit, S. 23.

Beim Vergleich der Medianlöhne – d. h. den mittleren Löhnen – ist jedoch zu berücksichtigen, dass vollzeitbeschäftigte Leiharbeitnehmer*innen und reguläre Vollzeitbeschäftigte wesentliche Strukturunterschiede aufweisen: Die meisten üben Helfertätigkeiten aus, jüngere Beschäftigte und Ausländer*innen arbeiten überproportional häufig in Leiharbeit (a. a. O., S. 14f.). Der um Anforderungsniveau, Geschlecht, Alter und Betriebsgröße bereinigte Pay Gap liegt für das Jahr 2022 laut Angaben der BA jedoch immer noch bei 14 Prozent (a. a. O., S. 23).

(9) Mehr als die Hälfte der Leiharbeitnehmer*innen verlässt das Zeitarbeitsunternehmen bereits in den ersten drei Monaten wieder. Im Jahr 2022 endeten 31 Prozent aller Zeitarbeitsverhältnisse schon vor Ablauf eines Monats und weitere 35 Prozent vor Ablauf eines halben Jahres, vgl. a. a. O., S. 17.

(10) Vgl. a. a. O., S. 14.

Außerdem werden geflüchtete Personen zunehmend in Leiharbeitsverhältnisse vermittelt, um ihnen einen Einstieg in produktionsbezogene Berufe zu ermöglichen. Langfristig sind diese Bedingungen für eine Qualifizierung und Weiterbildung aber nicht vorteilhaft, da Verleihunternehmen Möglichkeiten zur Weiterbildung nur in Rücksprache mit Entleihbetrieben anbieten, vgl. DGB (2019): Leiharbeit: Neue Trends und alte Probleme, S. 7.

(11) Vgl. DGB-Bundesvorstand (2019): Leiharbeit: Neue Trends und alte Probleme, S. 7.

(12) Vgl. DGB-Bundesvorstand (2015): Risiken und Reformbedarf in der Leiharbeit, S. 1. Siehe dazu auch DGB (2019): Leiharbeit: Neue Trends und alte Probleme, S. 14.

(13) Vgl. Hans Böckler Stiftung (2015): Leiharbeit belastet Partnerschaft, S. 5.

(14) Jahn, Elke/Weber, Enzo (2013): Zeitarbeit: Zusätzliche Jobs, aber auch Verdrängung, S. 1.

(15) Vgl. Lepper, Timo (2015): Leiharbeit in Hessen: Ein Sprungbrett in reguläre Beschäftigung? S. 92ff.

(16) Vgl. DGB (2019): Leiharbeit: Neue Trends und alte Probleme, S. 2 und Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2022): Evaluation des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG): S. 374.

 

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