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Tarifarchiv - Analysen Tarifarchiv

Tarifrunde 2016: Metall- und Elektroindustrie

Der letzte Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie aus 2015 umfasste neben einer Pauschalzahlung eine Tariferhöhung von 3,4 % bei einer relativ kurzen Laufzeit von 15 Monaten bis Ende März 2016. Er hatte wegen seines Volumens in den Metallarbeitgeberverbänden für erheblichen Unmut gesorgt. Die Tarifrunde 2016 in der Metall- und Elektroindustrie zeichnete sich deshalb von Beginn an durch eine konfrontative Entwicklung aus. Die Arbeitgeber signalisierten bereits zu einem frühen Zeitpunkt, dass sie kaum Verteilungsspielraum sehen und kündigten dementsprechend harten Widerstand an. Nach umfangreichen Warnstreiks einigten sich die Tarifparteien auf einen zweistufigen Abschluss, der eine Differenzierung auf betrieblicher Ebene zulässt.

Anfang Februar beschloss der IG Metall-Vorstand einen Forderungsrahmen von 4,5 bis 5,0 % bei einer Laufzeit von 12 Monaten. In den regionalen Tarifkommissionen reichte das Forderungsspektrum von 4,0 % bis 5,5 %. Vereinzelt wurde auch die Forderung einer sozialen Komponente thematisiert. Die Möglichkeit einer Differenzierung des Tarifergebnisses durch Öffnungsklauseln wurde überwiegend kritisch gesehen. Wenn überhaupt, dann sollten Abweichungen an tarifliche Regelungen geknüpft werden. Der Beschluss der endgültigen Forderung durch den Vorstand erfolgte am 29. Februar: Sie lautete auf Erhöhung der Vergütungen um 5,0 % bei einer 12-monatigen Laufzeit. Bei dem geforderten Plus von 5,0 % für Beschäftigte und Auszubildende orientierte sich die IG Metall nach eigenen Angaben an der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank (2,0 %) und dem mittelfristigen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Trendproduktivität (etwa 1,1 %). Hinzu rechnete sie eine Umverteilungskomponente, „um die Beschäftigten fair an der wirtschaftlichen Entwicklung zu beteiligen“. Die Forderung lag damit knapp unter der Vorjahresforderung von 5,5 %.

Erstmals griff die Gewerkschaft im Zusammenhang mit einer Entgeltrunde explizit das Ziel auf, auch die Tarifbindung der Branche zu erhöhen (zum Hintergrund Hofmann 2016). Der Flächentarif gilt, so die IG Metall, aktuell im Schnitt nur noch für jede/n zweite/n Arbeitnehmer/in in der Metall- und Elektroindustrie. „Das hat für die Betroffenen handfeste Nachteile: Denn Beschäftigte in nicht-tarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie verdienen bei vergleichbarer Tätigkeit im Durchschnitt 24,6 % weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen in Betrieben mit Tarifvertrag.“ (IG Metall 2016)

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall kritisierte die Forderungsempfehlung des IG-Metall-Vorstands für die Tarifrunde 2016 scharf: Diese Forderungsempfehlung lasse befürchten, dass die Gewerkschaft den Ernst der Lage nicht erkannt habe. Seit der Finanzkrise seien die Löhne in der Metall- und Elektroindustrie um 20 % gestiegen, die Produktivität aber nur um 2 %. In der Tarifrunde 2016 komme es darauf an, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes in den Mittelpunkt zu stellen. Es könne nicht im Interesse der Gewerkschaft sein, die Zweifel der Unternehmen an dem Vorteil einer Tarifbindung und an der Zukunft des Standortes Deutschland weiter zu verstärken. Das Motto der sehr intensiven Öffentlichkeitskampagne der Metallarbeitgeber lautete dementsprechend „Falsche Zeit für Höhenflüge" (Pressemeldung vom 02.02.2016).

Verhandlungen

Der Verhandlungsauftakt erfolgte am 9. März in Niedersachsen und endete, wie auch die nachfolgenden Verhandlungen der ersten Runde bis zum 22. März in Thüringen, ohne Ergebnis. Die IG Metall stellte in ihrer Begründung auf die insgesamt positive wirtschaftliche Lage in Deutschland ab. Sie betonte die solide Entwicklung in der Metall- und Elektroindustrie und hob die seit Jahren positive Gewinnentwicklung der Branche hervor. Die Arbeitgeber verwiesen dagegen auf die Risiken der Weltkonjunktur und die unterschiedliche Entwicklung in den Teilbranchen. Bei einer Inflationsrate von Null und einer geringen Produktivitätsentwicklung sei die Tarifforderung von 5,0 % in keiner Weise gerechtfertigt. Die auch von ihnen gewünschte Erhöhung der Tarifbindung erfordere gerade niedrige Abschlüsse. Andernfalls werde es bei einer rückläufiger Tarifbindung bleiben.

Zu Beginn der 2. Verhandlungsrunde am 11. April in Nordrhein-Westfalen legten die Arbeitgeber ein erstes Angebot vor. Es sah bei einer Laufzeit von 12 Monaten eine Erhöhung der Vergütungen um 0,9 % ab 1. April vor, basierend auf einer angenommenen Preissteigerung von 0,3 % und einer Produktivitätssteigerung von 0,6 %. Außerdem boten sie eine nichttabellenwirksame Einmalzahlung von 0,3 % an. Der Präsident von NRW-Metall Kirchhoff bezeichnete die Tarifrunde 2016 als „eine entscheidende für die Zukunftsfähigkeit des Flächentarifs in Deutschlands bedeutendstem Industriezweig“. Von ihrem Ergebnis hänge es ab, ob verloren gegangenes Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit des Flächentarifs zurückgewonnen werden könne.

Die IG Metall wies das Angebot als „Provokation und Kampfansage“ zurück. Es würde, so IG Metall-Bezirksleiter in NRW Giesler, die Binnenkonjunktur abwürgen und sei unverschämt gegenüber den Beschäftigten. Für die 3. Verhandlungsrunde am 28. April wurde ein verhandlungsfähiges Angebot angemahnt. In den folgenden anderen regionalen Verhandlungsrunden legten die Arbeitgeber identische Angebote vor. Die IG Metall beendete die Verhandlungen jeweils nach sehr kurzer Zeit.

Vor der 3. Verhandlungsrunde Ende April forderte Gesamtmetall von der IG Metall ein Entgegenkommen. „Wir brauchen eine Korrektur der unrealistischen 5-%-Forderung nach unten“, so Gesamtmetall-Präsident Dulger (Interview Heilbronner Stimme vom 19.04.2016). Er erinnerte daran, dass der letzte Tarifabschluss bei den Metallarbeitgebern intern auf heftige Kritik gestoßen sei. Die Botschaft laute jetzt: „Das können wir uns nicht noch einmal leisten“ (ebenda).

In der 3. Runde, die in nahezu allen Tarifgebieten am 28.04. stattfand, legten die Arbeitgeber ein "Alternativangebot" vor, das bei einer Laufzeit von 24 Monaten u. a. eine zweistufige Erhöhung von insg. 2,1 % vorsah, zuzüglich einer Einmalzahlung von 0,3 % für 12 Monate als sogenannte Wettbewerbskomponente. Darüber hinaus brachten sie eine Differenzierungsklausel mit der Möglichkeit der Abweichung vom Tarifergebnis für einzelne Unternehmen in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Lage ins Gespräch. Die IG Metall lehnte auch dieses Angebot ab.

Am Freitag, dem 29.04. endete die Friedenspflicht. An den unmittelbar einsetzenden Warnstreiks beteiligten sich bereits in den ersten beiden Tagen 140.000 und in der folgenden Woche weitere 260.000 Beschäftigte. Die 4. Verhandlungsrunde in Nordrhein-Westfalen am 09.05. brachte ebenfalls keine Einigung, jedoch erste punktuelle Annäherungen, so dass der Vorstand der IG Metall der Bezirksleitung den Auftrag gab, in einer 5. Verhandlungsrunde am 12.05. zu versuchen, eine Einigung zu erzielen. Die Warnstreiks wurden noch einmal deutlich ausgeweitet. Bis zum 12.05. beteiligten sich weitere knapp 380.000 Beschäftigte an Arbeitsniederlegungen. Außerdem wurde das auf dem letzten Gewerkschaftstag der IG Metall neu geschaffene Instrument des 24-Stunden-Streiks vorbereitet, die nach einem eventuellen Scheitern der Verhandlungen als reguläre Streiks, aber ohne vorherige Urabstimmung, durchgeführt werden sollten. Allein in Nordrhein-Westfalen, so Bezirksleiter Giesler, habe die IG Metall eine größere dreistellige Zahl von Betrieben identifiziert, die für diese Streikform geeignet seien (Süddeutsche Zeitung vom 06.05.2016).

Abschluss

In der 5. Runde am 12./13.05. erzielten die Tarifparteien in Nordrhein-Westfalen nach rund zwölfstündigen Verhandlungen folgendes Ergebnis:

Entgelt

  • 150 € Pauschale insgesamt für April - Juni
  • Anhebung des Tarifentgelts um 2,8 % ab 01.07.2016
  • Stufenerhöhung von 2,0 % ab 01.04.2017
  • Laufzeit von insgesamt 21 Monaten bis 31.12.2017

Differenzierung

Möglichkeit zur Verschiebung der Pauschalzahlung und der Stufenerhöhung sowie Reduzierung der Pauschalzahlung bis auf Null für tarifgebundene Unternehmen mit unterdurchschnittlicher, schlechter Ertragslage nach Zustimmung durch die Tarifvertragsparteien.

Weitere Regelungen

  • unveränderte Wiederinkraftsetzung des Tarifvertrages Anspruchsvoraussetzungen zur Finanzierung der Altersteilzeit bis 31.12.2017
  • Wegfall der 4-wöchigen Friedenspflicht für die Verhandlungen in der Tarifrunde 2017/2018
  • Maßregelungsverbot.

Das Ergebnis wurde in ähnlicher Form anschließend in den anderen regionalen Tarifbereichen übernommen. Was die Vereinbarung zur Differenzierung betrifft, sind folgende Aspekte von Bedeutung: Gegenstand der Differenzierung kann die Pauschalzahlung (Verschiebung oder Reduzierung bis auf Null) und die Stufenanhebung (Verschiebung) sein. Die Nutzung der Bestimmungen ist nur im Rahmen des Tarifabschlusses möglich, es findet kein dauerhafter Eingriff in die Entgeltstruktur statt. Erforderlich ist die Zustimmung der Tarifparteien, Voraussetzung ist ein Antrag des Arbeitgeberverbandes für den tarifgebundenen Mitgliedsbetrieb bei der IG Metall mit entsprechenden Unterlagen zur wirtschaftlichen Lage des Betriebes. Eine Entscheidung soll innerhalb eines Monats getroffen werden. Die Tarifparteien haben sich auf eine gemeinsame Evaluierung der Umsetzung verständigt. Sie wollen darüber hinaus auch die Anwendung anderer (sonder)tariflicher Regelungen gemeinsam analysieren. Und schließlich wollen sie Vorschläge zur nachhaltigen Sicherung und Stärkung des Flächentarifvertrages entwickeln.

Die Bewertung des Abschlusses aus Sicht von Gesamtmetall fiel positiv aus: Es sei ein „solider Dreiklang aus akzeptabler Lohnerhöhung, betrieblicher Flexibilität und langer Laufzeit“. Man habe erreicht, dass die Belastung der Unternehmen deutlich unter der der Vorjahre liegt, dass die Laufzeit deutlich länger ist und dass den Unternehmen die Möglichkeit gegeben wird, Teile des Abschlusses zu differenzieren. Im Einzelfall könne die jährliche Kostenbelastung über die Laufzeit im Volumen von über 10 % gesenkt werden. (Gesamtmetall-Pressemeldung vom 13.05.2016).

Aus Sicht der IG Metall bringt der Abschluss den Beschäftigten „eine deutliche Reallohnerhöhung und damit einen fairen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg“. Der tarifpolitische Kurs der volkswirtschaftlichen Vernunft sei gehalten worden. Gesamtwirtschaftlich sei dieser Abschluss ein gutes Ergebnis für Wachstum und Beschäftigung (Pressemeldung der IG Metall vom 13.05.2016). Hinsichtlich der Einbeziehung von Betrieben ohne Tarifbindung zog die IG Metall ebenfalls eine positive Bilanz: In 40 Betrieben schloss die IG Metall nach eigenen Angaben seit Anfang des Jahres einen Tarifvertrag ab. In etwa 100 Betrieben laufen zurzeit Verhandlungen. In Sachsen-Anhalt vereinbarte die IG Metall mit dem Arbeitgeberverband einen Heranführungstarifvertrag, der für tarifungebundene Betriebe die Modalitäten regelt, in vier Jahren auf das Niveau des Flächentarifvertrages zu kommen.

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