Quelle: WSI
TarifarchivTarifrunde 2015: Metall- und Elektroindustrie
Die Metallindustrie setzte in der Tarifrunde 2015 die zentrale Orientierungsmarke. Nach einer relativ kurzen Verhandlungsphase von sechs Wochen, die von umfangreichen Warnstreiks begleitet wurde, erreichten die Tarifvertragsparteien bereits Ende Februar ein Tarifergebnis, das von seiner materiellen Seite den Rahmen für die anderen Branchen absteckte.
Der letzte Tarifabschluss der Branche stammte vom Mai 2013 und beinhaltete eine Tarifanhebung in zwei Schritten (3,4 % und 2,2 %) mit einer Laufzeit von 20 Monaten bis Ende 2014. Für 2015 stand in der Metalltarifrunde ein Forderungspaket zur Verhandlung an, das neben der Entgeltforderung auch qualitative Tarifforderungen umfasste. Bereits weit im Vorfeld der Tarifrunde begann in der IG Metall die Diskussion über die qualitativen Forderungen. Grundlage war unter anderem die große Beschäftigtenbefragung der IG Metall im Jahr 2013 (IG Metall 2013). Im Juli 2014 fasste der IG Metall-Vorstand die zuvor bereits in den regionalen Tarifkommissionen geführten Diskussionen in einer Forderungsempfehlung zusammen. Aufgrund der neuen gesetzlichen Regelungen zur Rente mit 63 waren die Tarifparteien aufgefordert, den Tarifvertrag zum flexiblen Übergang in die Rente (TV Flex Ü) entsprechend anzupassen. Dies wollte die IG Metall nutzen, um den Tarifvertrag gleichzeitig im Sinne der Beschäftigten weiterzuentwickeln. Mit der Einführung einer Bildungsteilzeit sollte erreicht werden, dass alle Beschäftigten die Möglichkeit erhalten, sich, finanziell und zeitlich abgesichert, beruflich weiterzubilden. IG Metall und Arbeitgeberverband Gesamtmetall nahmen nach der Sommerpause Gespräche mit dem Ziel auf, bis November Eckpunkte zu erarbeiten.
Am 27.11.beschloss der IG Metall-Vorstand die endgültigen Forderungen für die Tarifrunde 2015. Danach sollten die Vergütungen bei einer Laufzeit von 12 Monaten um 5,5 % steigen. Der Forderung liegen die Zielinflationsrate der EZB von 2,0 %, eine erwartete gesamtwirtschaftliche Trendproduktivität von 1,5 % sowie eine Umverteilungskomponente von 2,0 % zugrunde. Des Weiteren forderte die IG Metall den Neuabschluss einer verbesserten Vereinbarung zur Altersteilzeit, die u. a. auch für die Beschäftigten in den unteren Vergütungsstufen die Möglichkeiten für einen früheren Ausstieg durch entsprechende Besserstellung beim Entgeltausgleich eröffnet. Der Neuabschluss des Tarifvertrags zur Qualifizierung, der um eine geförderte Bildungsteilzeit ergänzt werden soll (IG Metall Bildungsteilzeit), wurde ebenfalls gefordert. Die Metallarbeitgeber kritisierten, die IG Metall habe die „Chance auf eine realistische Forderung verpasst“, sie boten für die Altersteilzeit die Suche nach einer „fairen Lösung“ an und betonten, dass persönliche Weiterbildung „nicht auf Kosten der Betriebe und Belegschaften“ gehen könne (Gesamtmetall Pressemeldung vom 27.11.2014).
Verhandlungen
Die Verhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie finden auf regionaler Ebene statt und begannen am 14.01. in Baden-Württemberg und Bayern mit einer ausführlichen Darstellung und Begründung der gewerkschaftlichen Forderungen. Sie endeten ohne eine Annäherung. So auch die weiteren regionalen Verhandlungen in der 1. Runde, die dann am 29. 01.in Sachsen ihren Abschluss fanden.
Bereits am 26.01.mit Beginn der 2. Verhandlungsrunde legten die Arbeitgeber in Baden-Württemberg noch vor Ablauf der Friedenspflicht ein erstes Angebot vor. Dieses sah nach 2 Nullmonaten (Januar und Februar) eine Vergütungserhöhung von 2,2 % für März bis Dezember vor bei einer Gesamtlaufzeit von 12 Monaten. Die Bestimmungen zur Altersteilzeit sollten in modifizierter Fassung wieder in Kraft gesetzt werden. Diese sah zum einen eine Halbierung des bisherigen Anspruchs von 4 auf 2 % der Beschäftigten eines Betriebes vor, welcher nur noch mit der Regelarbeitsgrenze kombinierbar sein sollte. Zum anderen war vorgesehen, den Altersteilzeitanspruch auf besonders Belastete zu beschränken. Die von der IG Metall geforderte Besserstellung unterer Entgeltgruppen war für die Arbeitgeber nur dann vorstellbar, sofern die Gesamtkostenneutralität gegenüber dem bisherigen System sichergestellt sei. Die Finanzierung sollte alleine durch den Arbeitgeber erfolgen. Verbindliche tarifvertragliche Regelungen zu einer geförderten Bildungsteilzeit wurden von den Arbeitgebern weiterhin abgelehnt. Stattdessen boten sie an, den gekündigten Tarifvertrag zur Qualifizierung unverändert wieder in Kraft zu setzen und in puncto Weiterbildung An- und Ungelernter auf gemeinsame Bemühungen der Sozialpartner zu setzen. Die IG Metall wies das Angebot zurück und bezeichnete es als in der Summe mehr als unzureichend. Um bei den strittigen Themen Fortschritte zu erzielen, verständigten sich die Tarifparteien auf die Einsetzung einer Expertenkommission unter Einbindung betrieblicher Fachleute. Im Wesentlichen wurde das Angebot von den Arbeitgebern auch in allen weiteren regionalen Verhandlungen präsentiert und von der IG Metall als nicht verhandlungsfähig zurückgewiesen.
Unmittelbar nach Ablauf der Friedenspflicht am 28.01. rief die IG Metall zur Unterstützung der Verhandlungen bundesweit zu Warnstreiks auf, an denen sich bis zur 3. Verhandlungsrunde in Nordrhein-Westfalen am 06.02. bereits über 400.000 Beschäftigte beteiligten. Hier gab es dann auch erste Bewegung beim Thema Bildungsteilzeit. IG Metall und Arbeitgeber hatten sich im Vorfeld darauf verständigt, insbesondere alle Fragen zu diesem Thema in der 3. Runde genauer zu behandeln und verabredeten die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, mit dem Ziel die Gespräche in diesem Sinne vorzubereiten. Die IG Metall schlug vor, die bestehenden tariflichen Regelungen zur Qualifizierung, zu Langzeitkonten und zur Finanzierung der Altersteilzeit mit dem Teilzeitgesetz zu einen neuen „Tarifvertrag Bildungsteilzeit zu verknüpfen. Am Ende der Verhandlung stand dann zwar keine Einigung, aber die Gespräche sollten auf Arbeitsebene fortgeführt werden.
Zwischen dem 09. und 18.02. fanden weitere regionale Verhandlungen statt, u. a. in Bayern, in der Mittelgruppe, in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, die aber ausnahmslos ohne Einigung endeten. In der 4. Verhandlungsrunde in Baden-Württemberg vom 23. auf den 24. Februar, konnten IG Metall und Arbeitgeber dann einen Pilotabschluss erreichen, der in der Folge bis zum 3. März mit regionalen Abweichungen in den anderen Tarifgebieten übernommen wurde. Das Ergebnis umfasst folgende Elemente:
Entgelt
- Pauschalzahlung von insgesamt 150 € für Januar bis März
- Erhöhung der Vergütungen um 3,4 % ab April
- Laufzeit von 15 Monaten bis zum 31. März 2016
Altersteilzeit
Der Tarifvertrag zum flexiblen Übergang in die Rente wurde zum 1. April wieder in Kraft gesetzt und bis Ende 2021 verlängert. Dabei gelang es der IG Metall, das Vorhaben der Arbeitgeber, Altersteilzeit ausschließlich auf besonders Belastete zu beschränken und die Quote auf 2,0 % zu begrenzen, abzuwehren. Die Neufassung sieht wie bisher einen Anspruch auf Altersteilzeit von max. 4,0 % der Beschäftigten eines Betriebes vor. Altersteilzeit kann in unverblockter, verblockter und als neue Form ausgleitend (flexible Verteilung der Arbeitszeit: z. B. 80:40:60:20 %) genommen werden. Wer z. B. durch Nachtschicht oder die Arbeitsumgebung besonders belastet ist, hat ab dem vollendeten 58. Lebensjahr vorrangigen Anspruch auf Altersteilzeit von bis zu 5 Jahren. Dabei sind die Zahl der Belastungsjahre als Voraussetzung für den Zugang zur Altersteilzeit um 3 bzw. 4 Jahre reduziert worden. Der Vorrang gilt für max. 3,0 % der Beschäftigten eines Betriebes. Beschäftigte ohne Belastungsmerkmale, max. 2,0 %, haben Anspruch auf eine bis zu vierjährige Altersteilzeit, frühestens ab dem vollendeten 61. Lebensjahr. Das Anspruchsvolumen insgesamt kann reduziert werden, sofern die frei werdenden Mittel für Maßnahmen demografieorientierter Personalpolitik, insb. zur Förderung der persönlichen Weiterbildung, verwendet werden. Wie von der IG Metall gefordert erhalten untere Entgeltgruppen zukünftig eine höhere Aufstockung zum Altersteilzeitentgelt. Die Finanzierung der Altersteilzeit erfolgt über den "Tarifvertrag Anspruchsvoraussetzung", der ein Finanzierungsvolumen von 0,8 % der tariflichen Bruttoentgeltsumme eines Betriebes verbindlich regelt. Bei Beendigung des Tarifvertrags und dem Wegfall der Ansprüche führt dieses automatisch zu einer Erhöhung der Sonderzahlungen um 5,0 %.
Weiterbildung
Die Tarifverträge zur Qualifizierung werden neu gefasst und treten zum 01.03.15 in Kraft, mit einer Kündigungsmöglichkeit erstmalig zum 31.12.19. Mit der Neufassung ist es der IG Metall gelungen in allen Tarifgebieten Regelungen zur Freistellung für eine persönliche Weiterbildung sowie zur Bildungsteilzeit zu vereinbaren. Danach haben die Beschäftigten einen durchsetzbaren Anspruch auf eine bis zu 7-jährige Bildungsteilzeit, die zudem betrieblich durch Umwidmung von z. B. Arbeitszeit oder Teile des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes finanziell gefördert werden kann. Außerdem haben Betriebsrat und Arbeitgeber die Möglichkeit nicht genutzte Mittel aus der Altersteilzeit für die Förderung der persönlichen Weiterbildung analog zur Altersteil mit den entsprechenden monatlichen Aufstockungsbeträgen zu verwenden. Zudem vereinbarten IG Metall und Arbeitgeber Maßnahmen zur Qualifizierung an- und ungelernter Beschäftigter, die auf Grundlage eines festgestellten Bedarfs spezielle Programme für berufsqualifizierende Abschlüsse vorsehen.
Die Einigung war laut IG Metall nur möglich, weil bundesweit rund 875.000 Beschäftigte mit Tarifaktionen und durch Warnstreiks entsprechend Druck auf die Arbeitgeber erzeugen konnten. Die Zahl der Warnstreikbeteiligten lag damit ungefähr doppelt so hoch wie in der Tarifrunde 2013.
In der Bewertung des Abschlusses stellte die IG Metall zunächst die Konjunktur stabilisierende Wirkung der vereinbarten Entgeltsteigerung heraus. Bei der Altersteilzeit seien die unteren Entgeltgruppen besser gestellt und erreichten ca. 90 Prozent ihres Nettoentgeltes. Die Nutzung von nicht ausgeschöpften Mitteln des Altersteilzeit-Tarifvertrages könnten künftig für Weiterbildungsmaßnahmen genutzt werden. Damit sei ein erster wichtiger Schritt in die geförderte Bildungsteilzeit gelungen. (IG Metall Pressemeldung vom 24.2.2015).
Gesamtmetall betonte in Abgrenzung dazu, dass man beim Entgelt „an die absolute Grenze des Möglichen gegangen“ sei. Im Gegenzug hätten die Arbeitgeber bei Altersteilzeit und Bildung Kernanliegen durchgesetzt. Es gebe „keinen Anspruch auf bezuschusste persönliche Weiterbildung“ und keine erweiterte Mitbestimmung der Betriebsräte (Gesamtmetall Pressemeldung vom 24.02.2015).
Quelle: WSI Tarifpolitischer Halbjahresbericht 2015