Quelle: WSI
TarifarchivTarifrunde 2009: Öffentlicher Dienst
Das Tarifgeschehen des öffentlichen Dienstes hat sich durch die Aufspaltung des früher einheitlich geregelten Tarifgebiets grundlegend verändert. Für Bund und Gemeinden einerseits und die Länder andererseits gelten mit dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und dem Tarifvertrag für die Länder (TV-L) zwei getrennte (wenngleich inhaltlich ähnliche) Tarifwerke, die bislang aufgrund unterschiedlicher Laufzeiten nicht zeitgleich verhandelt werden (können). In dieser Tarifrunde stand die Neuverhandlung des TV-L auf der Tagesordnung, während der TVöD noch bis zum Jahresende läuft.
Zweieinhalb Jahre nach der Vereinbarung des TV-L wurde im Bereich der Länder erstmals wieder über Entgeltsteigerungen verhandelt. Der im Mai 2006 mit den Bundesländern (ohne Hessen und Berlin) vereinbarte TV-L sah ähnlich wie der TVöD bei Bund und Gemeinden eine neue einheitliche Entgeltstruktur für ArbeiterInnen und Angestellte vor. Materiell beinhaltete der Abschluss für die Jahre 2006 und 2007 drei Pauschalzahlungen und für das Jahr 2008 eine Tarifanhebung um 2,9 % (WSI-Tarifbericht 2008).
Für die Tarifforderung der Gewerkschaften spielte neben der ökonomischen Entwicklung auch die Tarifsituation im Bereich von Bund und Gemeinden eine zentrale Rolle. Dort hatten die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes im Frühjahr 2008 einen Abschluss durchgesetzt, der eine Sockelanhebung um 50 € sowie eine Tarifsteigerung um 3,1 % für 2008 und eine Stufenanhebung um 2,8 % für 2009 beinhaltete. Vorrangiges Ziel der Gewerkschaften war es, keine unterschiedliche Einkommensentwicklung in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes zuzulassen. Die Bundestarifkommission von ver.di beschloss daher am 9.12.2008 ein Forderungspaket, das sich eng an die vorjährigen Forderungen für Bund und Gemeinden anlehnte:
- Erhöhung der Tarifentgelte um 8 %, mindestens 200 €, bei einer Laufzeit von 12 Monaten
- Erhöhung der Ausbildungsvergütungen um 120 €
- zeit- und inhaltsgleiche Übertragung des Tarifergebnisses auf die BeamtInnen
- verbindliche Regelungen zur Übernahme Ausgebildeter
- im Rahmen von Leiharbeit Vereinbarungen zu "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" (Equal-Pay).
Verhandlungen
Weder in der 1. Verhandlungsrunde am 19., noch in der 2. am 26.1. legten die Arbeitgeber für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder ein Angebot vor. Am 3.2. rief ver.di zu einem ersten Streik- und Aktionstag auf. Der Schwerpunkt lag in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Allein in Niedersachsen beteiligten sich rund 14.000 und in Mecklenburg-Vorpommern rund 4.000 Beschäftigte. Am 4.2. lag der Schwerpunkt der Warnstreiks in Nordrhein-Westfalen mit ca. 5.000 Beteiligten. Aber auch in den anderen Bundesländern machten die Gewerkschaften vor der nächsten Verhandlungsrunde am 14./15.2. durch zahlreiche Warnstreiks und Aktionen Druck auf die Arbeitgeber. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder kündigte am 10.2. an, in der nächsten Verhandlungsrunde ein Angebot vorlegen zu wollen, da man an einem relativ schnellen Tarifabschluss, der jedoch verantwortbar sein muss, interessiert sei.
In der 3. Verhandlungsrunde am 14.2. legten die Arbeitgeber ein erstes Angebot vor. Es sah nach 6 Nullmonaten (Januar bis Juni) eine Erhöhung von 4,2 % ab 1.7. vor, die Laufzeit sollte bis Ende 2010 gehen. Ver.di lehnte dieses Angebot als völlig unzureichend ab, da es u.a. weder eine soziale Komponente enthalte noch den Anschluss an die Entwicklung bei Bund und Gemeinden sichere. Bis zu dieser Verhandlungsrunde hatten sich ca. 80.000 Beschäftigte an Aktionen und Warnstreiks beteiligt. Vor der 4. Verhandlungsrunde, die am 28. 2. begann, verstärkte ver.di den Druck auf die Arbeitgeber durch eine 2. Warnstreikwelle in der Zeit vom 25. bis 27.2., an der sich mehr als 100.000 ArbeitnehmerInnen beteiligten.
Ergebnis
Nach mehrtägigen Verhandlungen konnte dann am 1.3. folgendes Ergebnis erzielt werden:
- Pauschalzahlung von insgesamt 40 € für Januar und Februar
- einheitliche Erhöhung aller Entgeltgruppen um 40 € und darauf 3 % ab 1.3.
- 1,2 % Stufenerhöhung ab 1.3.2010
- Laufzeit bis Ende 2010
- nach 2 Nullmonaten Erhöhung der Ausbildungsvergütungen um 60 € in allen Ausbildungsjahren ab März und 1,2 % ab März 2010.
Das mit dem TV-L eingeführte Leistungsentgelt entfällt zukünftig. Die Regelung zur befristeten Übernahme Ausgebildeter für 12 Monate wird bis Ende 2010 verlängert. Die Vereinbarungen zum Überleitungsrecht von Bund und Gemeinden werden übernommen. Die Tarifvertragsparteien vereinbarten außerdem, die Verhandlungen zu einer neuen Entgeltordnung unverzüglich nach den Sommerferien aufzunehmen.
In einer ver.di-Mitgliederbefragung stimmten 68,8 % der Beschäftigten und danach auch die ver.di-Tarifkommission mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung für die Annahme. Somit konnten die Tarifverträge rückwirkend zum 1. Januar in Kraft gesetzt werden.
Aus Sicht von ver.di konnten in dieser Tarifrunde trotz denkbar ungünstiger Bedingungen "ehrgeizige Kernziele" trotzdem durchgesetzt werden. Neben der deutlichen Reallohnsteigerung hebt die Gewerkschaft vor allem den Sockelbetrag hervor, mit dem eine starke soziale Komponente erreicht werden konnte. Zwei "Haken" nennt die Gewerkschaft: die geringe Erhöhung von 1,2 % im kommenden Jahr und der Wegfall des Leistungsentgeltes. Letzteres sei bei den Beschäftigten auf viel Kritik gestoßen. Für die TdL bewertete ihr Verhandlungsführer Möllring das Ergebnis als "fairen Kompromiss" und begrüßte, dass ein Streik verhindert werden konnte.
Hessen
Das Bundesland Hessen gehört seit 2004 nicht mehr zur Tarifgemeinschaft deutscher Länder und hatte seitdem auch keine Entgelttarifverträge mehr mit den Gewerkschaften abgeschlossen. Vier Wochen nach dem TdL-Abschluss gelang es ver.di, erstmals wieder einen Tarifvertrag mit Hessen abzuschließen. Er sieht eine Erhöhung der Löhne und Gehälter von 3 % ab April nach 3 Nullmonaten (Januar bis März) sowie eine Stufenerhöhung von 1,2 % ab März 2010 vor. Im Juni 2009 gibt es eine Einmalzahlung von 500 €. Die Ausbildungsvergütungen werden ab April um jeweils 60 €, ab März 2010 um 1,2 % erhöht. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis Ende 2010. Gleichzeitig einigten sich Arbeitgeber und ver.di auf ein neues, für ArbeiterInnen und Angestellte einheitliches Tarifrecht (TV-H) ab 1. Januar 2010.
Quelle: WSI-Tarifbericht 2009
TV-L
Zum 1. Januar 2007 wurde mit dem TV-L ein Leistungsentgelt eingeführt, für das anfangs 1 % der Gehaltssumme aller Beschäftigten des Vorjahres, später bis 8 % dieses Werts zur Verfügung stehen sollte. Eine Regelung zur Gestaltung der Leistungsentgelte kam nicht zu Stande. Deswegen wurden bislang mit dem Dezember-Gehalt jedem Beschäftigten ohne Berücksichtigung seiner Leistung 12 % seines Monatsgehalts vom September ausbezahlt. Das Volumen dieses Leistungsentgelts ist jetzt faktisch Bestandteil der Tariferhöhung und damit in die Entgelttabelle eingearbeitet worden.