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WSI-Zwischenbilanz zum 1. Halbjahr 2016 : Arbeitskämpfe: Deutlicher Rückgang der Ausfalltage, aber weiter hohe Streikbeteiligung

16.06.2016

Nach dem ungewöhnlich intensiven Streikjahr 2015 zeichnet sich nach den ersten sechs Monaten für 2016 ein deutlich geringeres Arbeitskampfvolumen ab. Im ersten Halbjahr 2016 waren nach Schätzung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung bisher rund 405.000 streikbedingte Ausfalltage zu verzeichnen. Gab es im vergangenen Jahr in der Summe rund 2 Millionen Streiktage, so wird in diesem Jahr insgesamt vermutlich allenfalls ein Viertel dieses Volumens erreicht. Unverändert breit blieb die Beteiligung an Streiks und insbesondere Warnstreiks. Im ersten Halbjahr 2016 legten nach Gewerkschaftsangaben rund eine Million Beschäftigte zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Arbeit nieder. Dies sind in etwa so viele wie im gesamten Vorjahr. Dies zeigt die Zwischenbilanz zur Streikentwicklung, die das WSI heute vorlegt.

„Der entscheidende Unterschied zu 2015 ist, dass es 2016 bisher keine großen, über Wochen andauernde Arbeitsniederlegungen gab. Daher ist die Zahl der Ausfalltage weitaus niedriger, obwohl sich ähnlich viele Menschen an Streiks beteiligt haben. Ich rechne nicht damit, dass sich an diesem Trend im weiteren Jahresverlauf noch etwas ändert“, sagt WSI-Arbeitskampfexperte Dr. Heiner Dribbusch.

Dominiert wurde das Streikgeschehen im ersten Halbjahr 2016 durch die Warnstreikwellen während der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes sowie umfangreiche Warnstreikaktionen in der Metall- und Elektroindustrie, erklärt Dribbusch. Im öffentlichen Dienst beteiligten sich nach Schätzungen der Gewerkschaften insgesamt zwischen 150.000 und 200.000 Beschäftigte an den verschiedenen verhandlungsbegleitenden Arbeitsniederlegungen. Besondere Aufmerksamkeit erzielte dabei eine umfangreiche Warnstreikwelle in der letzten April-Woche, in die auch das unter den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes fallende Bodenpersonal an den großen deutschen Flughäfen einbezogen war. Wenige Tage später gelang der Durchbruch am Verhandlungstisch.

Rund 800.000 Beschäftigte in mehreren tausend Betrieben beteiligten sich im Verlauf der diesjährigen Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie zwischen März und Mitte Mai an den zahlreichen, teilweise sehr umfangreichen Warnstreikaktionen der IG Metall. Zur Erweiterung ihres Handlungsrepertoires hatte sich die IG Metall diesmal auch auf umfangreiche Tagesstreiks vorbereitet. Dabei sollten, falls erforderlich, ausgewählte Betriebe bis zu 24 Stunden bestreikt werden. Letztlich erübrigte sich diese Eskalationsstufe, da kurz vor Pfingsten ein Tarifabschluss erzielt werden konnte. „Das trug maßgeblich zur Begrenzung des diesjährigen Arbeitskampfvolumens bei“, sagt Dribbusch. Größere Warnstreiks begleiteten auch die Tarifrunde der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bei der Telekom.

Im zweiten Halbjahr sei mit größeren Flächenauseinandersetzungen vorerst nicht zu rechnen, sollte es nicht in der Chemie-Industrie zu unerwarteten Konflikten kommen.

Auch 2016 werden Auseinandersetzungen um Tarifverträge in einzelnen Firmen und Einrichtungen das Gros der Tarifkonflikte mit Arbeitsniederlegungen stellen. Dies zeichne sich bereits jetzt ab, so Dribbusch. Ungelöst sind nach Analyse des Arbeitskampfexperten einige seit längerem schwelende Tarifkonflikte.

Dazu zähle der Dauerkonflikt bei Amazon, wo der Konzern nach wie vor den Abschluss eines Tarifvertrages mit ver.di ablehnt. Die Folge waren auch im ersten Halbjahr 2016 wiederholte Arbeitsniederlegungen an mehreren Standorten. Im Arbeitskampf mit der 2015 aus dem Flächentarifvertrag des Einzelhandels ausgeschiedenen SB-Warenhauskette real wurde hingegen nach mehreren Arbeitsniederlegungen ein Kompromiss zwischen Management und ver.di erzielt, der eine mittelfristige Rückkehr in den Flächentarifvertrag beinhaltet.

Abzuwarten bleibt nach Ansicht des Experten der Verlauf einer breit angelegten Kampagne von ver.di für einen Tarifvertrag zur Entlastung des Pflegepersonals in den 21 Kliniken des Saarlandes. Erklärtes Vorbild sei hier die im letzten Jahr erfolgte Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen an Deutschlands größter Klinik, der Charité in Berlin. Entscheidend für den Erfolg in der Charité sei gewesen, dass die Forderung nach Entlastung sehr breit unter den Beschäftigten diskutiert und Formen des Arbeitskampfes gefunden wurden, die sowohl die Sicherheit der Patienten gewährleisten als auch wirtschaftlichen Druck auf die Krankenhausbetreiber entfalteten. Die Hürde zu einem umfassenden Pflegestreik im Saarland habe ver.di deshalb auch bewusst relativ hoch gehängt, erklärt Dribbusch. Ein möglicher Streik für einen entsprechenden Tarifvertrag zur Entlastung werde ausdrücklich an die breite Unterstützung des Pflegepersonals in allen saarländischen Krankenhäusern, einschließlich derjenigen in kirchlicher Trägerschaft gebunden. „Hier wird in mehrerer Hinsicht Neuland betreten“, sagt der Arbeitskampfforscher.

Insgesamt, sagt Dribbusch mit Blick auf die heute vorgelegten Zahlen, gelte es nicht zu vergessen, dass Streiks nie Selbstzweck sind. „Sie sind vielmehr ein nach wie vor wichtiges Mittel, mit dem den Interessen und Forderungen der Beschäftigten gegenüber Unternehmen und öffentlichen Arbeitgebern wirksam Nachdruck verliehen werden kann. Nicht wenige Streiks in jüngerer Zeit wurden durch Angriffe von Unternehmen auf tarifliche Standards provoziert“, sagt der Forscher. Für die Gewerkschaften bleibe die Verteidigung des Streikrechts deshalb von größtem Interesse. Hierzu gehöre auch, dass die von der Bundesregierung geplanten Neuregelung der Arbeitnehmerüberlassung am Ende tatsächlich ausschließe, dass Unternehmen, wie in letzter Zeit häufig geschehen, Leiharbeiter als Streikbrecher einsetzen können.

Kontakt:

Dr. Heiner Dribbusch
WSI

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

Die Pressemitteilung mit Grafik (pdf)

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