Quelle: WSI
TarifarchivTarifrunde 2006: Stahlindustrie
Bereits der Tarifabschluss aus dem Jahr 2005 hatte sich positiv aus dem tarifpolitischen Umfeld abgehoben. Mit einer Pauschalzahlung von 500 € für die ersten fünf Monate sowie einer Tariferhöhung von 3,5 % für die folgenden 12 Monate lag die Eisen- und Stahlindustrie am oberen Ende der Abschlüsse. Angesichts der glänzenden Branchenkonjunktur war dies auch nicht weiter verwunderlich. Im Tarifjahr 2006 wollte die IG Metall an dieses positive Ergebnis anknüpfen.
Für die Eisen- und Stahlindustrie in Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen wie auch für den Osten forderte die Gewerkschaft Einkommenserhöhungen von 7,0 % für 12 Monate sowie den Abschluss eines Tarifvertrages "Perspektive für Beschäftigung und alternsgerechtes Arbeiten" mit dem Ziel der Arbeitsplatzsicherung, der Sicherstellung der Beschäftigungsfähigkeit älterer ArbeitnehmerInnen sowie der weiteren Ermöglichung des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsleben. Eine weitere Forderung war die Lernmittelfreiheit für Auszubildende. Die Lohn- und Gehaltstarifverträge liefen Ende August 2006 aus.
Die ersten beiden Verhandlungstermine im Westen am 30.8. und 1.9. blieben ohne Ergebnis. Erst in der dritten Verhandlungsrunde am 5. September legten die Arbeitgeber ein Angebot vor, das rückwirkend ab 1. September eine Einkommenserhöhung von 3,0 % für 19 Monate sowie als Beteiligung der Belegschaften an der guten Ertragslage eine Einmalzahlung in Höhe von 500 € beinhaltete. Außerdem signalisierten sie die Bereitschaft, die Gespräche zur Beschäftigungssicherung und alternsgerechtes Arbeiten fortzuführen. Die Kostenübernahme für die Lernmittel Auszubildender sollte auf betrieblicher Ebene geregelt werden. Das Arbeitgeber-Angebot wurde von der IG Metall als unzureichend abgelehnt. Nach Ende der Friedenspflicht beteiligten sich über 20.000 Beschäftigte an betrieblichen Protestaktionen und Warnstreiks. Die vierte Verhandlungsrunde der Tarifverhandlungen fand am 14. September statt.
Am 20./21. September erreichten die Tarifparteien für die Beschäftigten der westdeutschen Stahlindustrie (ohne Saarland) und am 27. September für Ostdeutschland einen Tarifabschluss.
Ergebnis:
- Lohn und Gehalt: 500 € Pauschale insgesamt für September - Dezember 2006, 3,8 % ab 1.1.07, 750 € zusätzliche Einmalzahlung, Laufzeit bis 31.01.2008.
- Verlängerung des Tarifvertrages zur Beschäftigungssicherung und zur Einführung von Arbeitszeitkonten bis 31.12.2009.
- Tarifvertrag zur Gestaltung des demografischen Wandels (West)
- Kostenübernahme der Lernmittel für Auszubildende durch Arbeitgeber
Der Tarifvertrag zum demografischen Wandel, der in dieser Form erstmals für eine gesamte Branche in Westdeutschland abgeschlossen wurde, soll als Rahmen und Grundlage für Vereinbarungen zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern dienen und sieht u.a. folgende Regelungen vor:
- Durchführung einer umfassenden Altersstrukturanalyse durch den Arbeitgeber nach Beratung mit dem Betriebsrat
- Beratung daraus abzuleitender Maßnahmen u.a. zur Gesundheitsförderung, gesundheits- und alternsgerechte Gestaltung von Arbeit und Arbeitszeit, Qualifizierung, Reduzierung von Belastungen, Senkung des Durchschnittsalters durch verstärkte Übernahme Ausgebildeter
- Initiative der Tarifparteien für gleitenden/vorzeitigen Übergang in den Ruhestand
- einvernehmliche Entscheidung der Betriebsparteien über die Einrichtung, Finanzierung und Verwendung eines betrieblichen "Fonds demografischer Wandel" aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Mitteln; Insolvenzsicherung der Arbeitnehmer-Einlagen
- Begleitung der Tarifvertrags-Umsetzung durch paritätisch besetzte Kommission
Die IG Metall sprach von einem "außerordentlich guten Ergebnis": der 2. Vorsitzende Berthold Huber sah darin einen "Erfolg gegenüber dem Shareholder-Value-Kapitalismus". Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Stahl, Helmut F. Koch, wertete das Ergebnis als vertretbar. Der Abschluss befinde sich "an der Obergrenze dessen, was wir uns vorgestellt haben". Gesamtmetall warnte unmittelbar nach dem Abschluss davor, darin eine Orientierungsmarke für die kommende Tarifrunde 2007 zu sehen. "Aus Sicht der Metall- und Elektroindustrie wäre die gesamte materielle Belastung ein Albtraum", sagte Gesamtmetall-Präsident Kannegiesser.
Auszug aus: WSI-Tarifbericht 2006