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WSI-Mitteilungen

Schumann, Michael : Arbeitsbewusstsein und Gesellschaftsbild revisited

Ausgabe 07/2016

WSI-Mitteilungen 7/2016, Seiten 555–558

Zusammenfassung

Ausgangspunkt des Debattenbeitrages sind die industriesoziologischen Studien der Nachkriegszeit, in denen die Bewusstseinsforschung zum Arbeits- und Beschäftigungsverständnis neben wissenschaftlichen auch explizit politische Erkenntnisinteressen verfolgte: ist von der Industriearbeiterschaft eher ein Mitspiel mit dem vom Kapital in Szene gesetzten Wiederaufbau in Deutschland zu erwarten oder umgekehrt eher Ablehnung und Widerstand? Die Resultate dieser Untersuchungen liefen darauf hinaus: die These von der Verbürgerlichung der Arbeiter erwies sich als vorschnelle Vereinnahmungsbehauptung. Der Klassenkompromiss blieb brüchig. Aber die zu beobachtende kritische Distanz zu betrieblichen und geschäftlichen Herrschaftsverhältnissen begründete auch keine substanzielle Umwälzungsperspektive. Die neuen Untersuchungen zum Arbeits- und Beschäftigungsverständnis unterstreichen, dass sich bei allen Ausdifferenzierungen der Realsituationen auch gemeinsame Erfahrungen durchsetzen: wachsende Arbeitsbelastungen, Intensivierung, Gesundheitsgefährdungen, Gerechtigkeitslücken. In vielen Sektoren zeigen sich persönliche und gesellschaftliche Verunsicherungen. Wichtige Systemlegitimitäten brechen ein. Aber es ergeben sich daraus kaum systemgefährdende Legitimationskonflikte. Damit ist eine offene Situation gekennzeichnet. Sie spielt politisch nicht den progressiven systemkritischen Kräften in die Hände, sondern den regressiven. Offenkundig gelingt es rechtspopulistischen Organisationen von Pegida bis AfD, die soziale Problematik aus dem Kontext einer Fortschrittsperspektive herauszulösen, neu in die nationale Frage einzubetten und die Verteilungskämpfe zwischen Oben und Unten in Konflikte zwischen Innen und Außen (die „Fremden“) zu reinterpretieren. Der Beitrag schließt mit einem Versuch, die Bedingungen dieses Perspektivwechsels offenzulegen.

Abstract

The starting point for this article is the industrial-sociological studies of the post-war period where consciousness research into understanding work and employment was pursued not only from a scientific point of reference but also explicitly from the political interest in the knowledge gained: can cooperation in the reconstruction of Germany be expected from the industrial workforce, as accentuated by capital, or rather rejection and resistance? The results of this analysis indicated that the theory of the upward movement of the working class towards the middle class proved to be a premature claim. The class compromise remained fragile. And the observed critical distance to operational and corporate management relationships did not give grounds for any substantial perspective for structural change. The new research into the understanding of work and employment underlines that with all the differentiations of the real situation, there are common experiences which prevail: growing workloads, intensification, threats to health and safety, a fairness gap. In many sectors personal and social insecurity is apparent. There is a collapse of important aspects of legitimacy in the system which does not however result in legitimacy conflicts which threaten the system. This characterises an open situation which politically does not play into the hands of the progressive elements of the system, but rather the regressive. Clearly the right-wing populist organisations from Pergida (Patriotic Europeans Against the Islamisation of the West) to AfD (Alternative for Germany) are successful in taking the social problems out of the context of a progressive perspective and embedding them in the national question and reinterpreting the distribution struggle between “top” and “bottom” into “domestic” and “foreign”. The article closes with an attempt to analyse the conditions for this change of perspective.

 

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