Quelle: HBS
WSI-MitteilungenLehndorff, Steffen : Deutschland in der europäischen Krise: Teil der Lösung oder Teil des Problems?
Der Beitrag nimmt zur kontroversen Debatte über die Rolle Deutschlands in der gegenwärtigen Krise der Eurozone Stellung, indem der Wandel des deutschen Wirtschafts- und Sozialmodells seit den 1990er Jahren in den Blick genommen wird. Der heutige deutsche Kapitalismus wird als Hybrid aus einigen erhaltengebliebenen Elementen des “Rheinischen Kapitalismus”, hartnäckigem Konservatismus im Geschlechtermodell und neoliberal inspirierten Fragmentierungen im Sozial- und Beschäftigungssystem charakterisiert. Die klassische Verbindung von industrieller Dynamik und vergleichsweise starkem sozialen Ausgleich ist aufgebrochen. Im zurückliegenden Jahrzehnt ist die auf rasch zunehmender Einkommensungleichheit beruhende Schwäche des Binnenmarkts zu einer Belastung der gesamten Eurozone geworden. In der gegenwärtigen Eurokrise feiert der Neoliberalismus mit der unter deutscher Dominanz erzwungenen Fokussierung auf Austeritätspolitik neue Triumphe. Ein Umsteuern auf nachhaltige Entwicklungspfade erfordert tief greifende Reformen sowohl auf der Ebene der Europäischen Union als auch in einzelnen Ländern, darunter vor allem in Deutschland als der größten europäischen Volkswirtschaft.
in: WSI-Mitteilungen 12/2011, Seiten 650-658