Quelle: WSI
WSI-MitteilungenSchulten, Thorsten / Müller, Torsten : Die europäische Mindestlohnrichtlinie als Tarifvertragsstärkungsrichtlinie
DOI: 10.5771/0342-300X-2024-6-441
Seiten 441–449
Zusammenfassung
Die im Oktober 2022 verabschiedete EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union geht in ihrer Zielsetzung weit über die Absicherung angemessener (gesetzlicher) Mindestlöhne hinaus. Ihr zweites zentrales Ziel, Tarifverhandlungen in der gesamten EU grundlegend zu stärken, macht sie de facto auch zu einer Tarifvertragsstärkungsrichtlinie. Aufgrund der begrenzten europarechtlichen Kompetenzen auf dem Gebiet der Lohn- und Tarifpolitik setzt die Mindestlohnrichtlinie dabei weniger auf verbindliche inhaltliche Standards als vielmehr auf prozedurale Regelungen und inhaltliche Empfehlungen. Sie schafft somit einen europäischen Referenzrahmen für politische Initiativen auf nationaler Ebene, die auf eine Stärkung der Tarifbindung abzielen. Ihre konkreten Auswirkungen hängen daher entscheidend von ihrer Umsetzung und Nutzung auf nationaler Ebene ab. Vor diesem Hintergrund analysiert der Beitrag, inwiefern die Mindestlohnrichtlinie zur Erhöhung der Tarifbindung in Deutschland beitragen kann.
Schlagworte: Löhne/Mindestlohn, Tarifbindung, EU, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, EU-Mindestlohnrichtlinie
Abstract
The EU Directive on adequate minimum wages in the European Union, adopted in October 2022, goes far beyond ensuring adequate (statutory) minimum wages. Its second central objective of fundamentally strengthening collective bargaining throughout the EU de facto makes it a collective bargaining directive. Due to the limited competences under European law in the area of wages and collective bargaining, the Minimum Wage Directive relies less on binding substantive standards than on procedural rules and substantive recommendations. It thus creates a European frame of reference for national policy initiatives aimed at strengthening collective bargaining. Its concrete effects therefore depend crucially on its implementation and use at national level. Against this background, the article analyses the extent to which the Minimum Wage Directive can contribute to increasing collective bargaining coverage in Germany.