Quelle: HBS
WSI-MitteilungenAbsenger, Nadine / Blank, Florian : Die Grenzen von Freizügigkeit und Solidarität – Der Ausschluss von EU-Bürgern aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende
WSI-Mitteilungen 5/2015, Seiten 355–364
Zusammenfassung
Die Debatte um die Vor- und Nachteile der Freizügigkeit in der Europäischen Union wird in Deutschland häufig unter dem Gesichtspunkt von „Sozialtourismus“ und dadurch bedingter Belastungen der sozialen Sicherungssysteme geführt. Allerdings sieht das deutsche Sozialrecht im Bereich des SGB II – der Grundsicherung für Arbeitsuchende – unter bestimmten Bedingungen einen Ausschluss von EU-Bürgern von den Leistungen vor. Ob dieser Ausschluss europarechtlich wie verfassungsrechtlich zulässig ist, ist hoch umstritten. Der Beitrag widmet sich dieser Problematik. Er weist darauf hin, dass sich Deutschland durch Unterzeichnung der europäischen Verträge und internationaler Abkommen zur Solidarität auch gegenüber Migranten verpflichtet hat. Einschränkungen von Menschenrechten wie dem Recht auf soziale Sicherung stehen unter erheblichem Rechtfertigungszwang und stellen bisher im deutschen Recht auch eine Ausnahme dar. Der Konflikt um die Verweigerung von Leistungen des SGB II verweist zudem auf Inkonsistenzen im deutschen Recht, resultierend aus dem Doppelcharakter des SGB II – Grundsicherung und Arbeitsförderung – wie aktuelle Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zeigen.
Abstract
The German political debate on the pros and cons of freedom of movement within the European Union is often connected to fears of allegedly unjustified receipt of benefits. However, German social law allows for an exclusion of EU citizens from unemployment benefit II (SGB II) under certain conditions. It is highly controversial whether this exclusion is admissible with respect to both constitutional and European law. The problematic nature of this situation is discussed in this article. It is emphasized that Germany has bound itself to European and international treaties and hence is obliged to solidarity with migrants. Any limitations to human rights such as rights to social security must be extensively justified and would constitute an exception in German law. The conflict about the exclusion from benefits also points to the double character of unemployment benefit II, which contains elements of both labour market policy and social assistance schemes. This double character is also reflected in the recent decisions of the European Court of Justice.