Quelle: WSI
WSI-MitteilungenSiebel, Walter : Die Wohnungsfrage
DOI: 10.5771/0342-300X-2022-3-179
Seiten 179-187
Zusammenfassung
Die Wohnungsfrage entstand im 19. Jahrhundert unter den so grundlegend geänderten Verhältnissen der industriellen Urbanisierung und ist heute wieder von brennender Aktualität. Sie beinhaltete von Anfang an zwei Fragen: Was kann menschenwürdiges Wohnen heißen, und wie kann die Masse der Wohnungssuchenden mit entsprechendem Wohnraum versorgt werden? Beide Fragen lassen sich nicht endgültig beantworten. Sie stellen sich im Zuge sozialer und politischer Veränderungen immer wieder neu. Aber was man die grundsätzliche Unbeantwortbarkeit der Wohnungsfrage nennen könnte, bedeutet keineswegs, dass Wohnungspolitik keinen Unterschied macht. Deshalb unterscheidet der Autor vier Phasen der Wohnungspolitik und die korrespondierenden – auch politisch bedingten – Veränderungen des Wohnungsmarkts in Deutschland: Ansätze einer Politisierung der Wohnungsfrage vor dem Ersten Weltkrieg, das „goldene Zeitalter der Wohnungspolitik“ in der Weimarer Republik, der allmähliche Rückzug der Politik und der Abbau eines marktfernen Segments der Wohnungsversorgung in der BRD und die Finanzialisierung des Wohnungsmarkts seit 2000. Am Schluss stehen Argumente zur „Unbeantwortbarkeit der Wohnungsfrage“ und Überlegungen zur Rolle der Gewerkschaften.
Abstract
The housing question was formulated in the face of the fundamental societal changes of industrial urbanisation in the 19th century. Today, it has gained high priority yet again. From the very beginning, the housing question has encompassed two aspects: how to define standards of decent housing and how to make such adequate housing available for all people? Both questions cannot be conclusively answered. The questions are repeatedly renewed in the course of social and political change. However, what one might call the “unanswerability of the housing question” does not imply that housing policy has no affect. The article describes four different phases of housing politics in Germany to demonstrate this: The politicisation of the housing question before 1914, the “golden age of housing politics” in the Weimar Republic, the withdrawal of state housing interventions and the commodification of housing in the FRG, and the financialisation of the housing market since 2000. Finally, the author propounds some arguments regarding the “unanswerability of the housing question” and puts forward reflections on relevant issues for labour union politics.