Wirtschaftspolitik: Klimaschutz sozial gerecht gestalten
Die Klimapolitik der Bundesregierung und der EU geht zwar in die richtige Richtung. Allerdings sind die Pläne noch zu zaghaft und sozial unausgewogen.
Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Um den Klimawandel zu bremsen, muss der CO₂-Ausstoß deutlich sinken, gleichzeitig soll der hohe Lebensstandard eines entwickelten Industrielandes erhalten bleiben. Schlüsselindustrien und damit Millionen von Beschäftigten stehen grundlegende Veränderungen bevor. „Die notwendige Transformation der europäischen Wirtschaft ist wahrscheinlich die grundlegendste seit der industriellen Revolution“, erklärt Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK. In dieser Situation sei eine engagierte Wirtschaftspolitik wichtiger denn je. Sie müsse nicht nur die richtigen Weichen stellen, sondern Wandel auch über Investitionen in die technische und soziale Infrastruktur voranbringen. „Nur wenn im Prozess der Klimawende gut bezahlte Arbeitsplätze erhalten sowie neue geschaffen und die Lasten der CO₂-Reduktion nicht einseitig auf den ärmeren Teil der Bevölkerung abgewälzt werden, kann es gelingen, dauerhaft die Unterstützung einer Mehrheit der Bevölkerung für eine solche Politik zu sichern“, so Dullien.
In seinem aktuellen Jahresausblick überprüft das IMK, wie sich verschiedene wirtschaftspolitische Maßnahmen auswirken, die auf den Klimaschutz abzielen – darunter das Klimapaket der Bundesregierung, der Green Deal der EU-Kommission, Überlegungen der Europäischen Zentralbank (EZB), in ihren Aufkaufprogrammen „grüne Anleihen“ stärker zu berücksichtigen, sowie das „Arbeit von morgen“-Gesetz, mit dem Kurzarbeit in Umbruchphasen erleichtert und mit Qualifikation verknüpft werden soll.
Klimapaket: Sinnvoll, aber mehr sozialer Ausgleich nötig
Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr ein Klimaschutzgesetz vorgelegt. Das damit verbundene Finanzvolumen einschließlich der im Vermittlungsausschuss durchgesetzten Änderungen beziffert das IMK bis 2023 auf rund 69 Milliarden Euro. Nur knapp 25 Milliarden Euro davon fließen nach Schätzung der Wissenschaftler in Investitionen. Höhere Investitionen etwa in den öffentlichen Nahverkehr oder in Fernwärmenetze seien notwendig, damit die Menschen überhaupt in die Lage versetzt werden, ihr Leben klimafreundlicher zu gestalten.
Den grundsätzlichen Ansatz, den Ausstoß von Treibhausgasen über eine Bepreisung von CO₂ zu reduzieren, halten die Forscher für richtig. Allerdings stelle sich die Frage, wie genau ein CO₂-Preis festgesetzt werden sollte, insbesondere, ob eine Besteuerung von Treibhausgasen oder ein Emissionshandel die bessere Lösung darstellt – die Bundesregierung hat zunächst eine Mischlösung gewählt. Nach Ansicht der IMK-Wissenschaftler hat der Emissionshandel weniger Vorteile als oftmals dargestellt. Unter anderem hätten individuelle Anstrengungen in einem System des Zertifikatshandels keinen direkten Effekt. Wenn etwa mehr Menschen die Bahn nehmen würden anstatt zu fliegen, so würden bei den Fluglinien CO₂-Zertifikate frei, die von den Betreibern europäischer Braunkohlekraftwerke gekauft werden könnten, um dort die Stromproduktion zu erhöhen. Die Anstrengungen privater Haushalte wären damit konterkariert.
Im Gegensatz dazu würden sich Verhaltensänderungen im Falle einer Steuer auf Kohlendioxid direkt auswirken. Auch hier müsste allerdings auf eine sozialverträgliche Gestaltung geachtet werden. Das Problem: Egal, wie er organisiert wird, wäre ein CO₂-Preis zunächst „regressiv“, das heißt, er würde Geringverdiener im Verhältnis zu ihrem Einkommen stärker belasten als Wohlhabende. Das liege daran, dass sich an bestimmten Grundbedürfnissen wie Heizung oder Warmwasser mit steigendem Einkommen nur wenig ändert. Um die Kluft zwischen den Einkommensschichten nicht noch weiter zu vergrößern, sei es nötig, die Einführung einer CO₂-Steuer mit einer Entlastung der unteren Einkommen zu verbinden – ohne die Lenkungswirkung zu konterkarieren. Gelingen könnte dies durch eine Klimaprämie, die das IMK im vergangenen Jahr in einem Gutachten für das Bundesumweltministerium durchgerechnet hatte. Das Aufkommen aus der Besteuerung von CO₂-Emissionen würde dabei in Form eines einheitlichen Pro-Kopf-Betrags an alle Bürger ausgezahlt. Im Verhältnis zum Einkommen würde diese Auszahlung bei Geringverdienern höher ausfallen und damit dem regressiven Effekt der CO₂-Steuer entgegenwirken. Die im aktuellen Klimapaket vorgesehene Entlastung durch eine niedrigere EEG-Umlage auf den Strompreis und höhere Vergünstigungen für Pendler leistet das nach Analyse des IMK nur zum Teil. Die Privathaushalte bekommen nach Berechnung der Forscher im Schnitt lediglich rund die Hälfte der Belastung durch den CO₂-Preis zurück. Und Haushalte mit höherem Einkommen profitieren stärker als Haushalte mit wenig Geld.
Europa: Schuldenregeln für Investitionen lockern
Die bislang vorgelegten Pläne der EU-Kommission enthalten nach Ansicht der IMK-Wissenschaftler vielversprechende Ansätze, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren, ohne dass es zu massiven Produktions- oder Jobverlusten kommt. Allerdings blieben einige Vorhaben vage und es sei fraglich, ob der Europäische Rat alle Vorschläge tatsächlich unterstützt, wenn es konkret wird. Bei den geplanten Investitionsprogrammen könnten die tatsächlichen Ausgaben deutlich geringer ausfallen als angekündigt. Für den sogenannten Green Deal will die EU beispielsweise ein Volumen von 1000 Milliarden Euro mobilisieren. Die auf den ersten Blick hohe Summe komme aber dadurch zustande, dass hier nicht nur von der EU bereitgestellte Gelder, sondern auch private Investitionen mitgezählt würden. Auch die angekündigten 100 Milliarden Euro für den Just Transition Fund, der soziale Härten der Klimawende abfedern soll, seien viel zu gering angesichts eines jährlichen Bruttoinlandsprodukts der EU von mehr als 15 000 Milliarden Euro.
Zudem fehle bislang ein Bekenntnis zu einer Reform der europäischen Schuldenregeln. Nach Ansicht des IMK sollte es grundsätzlich möglich sein, Investitionen in den Klimaschutz wie auch andere Zukunftsinvestitionen über neue Kredite zu finanzieren. Auch die deutsche Schuldenbremse sollte in diesem Sinne angepasst werden. Für eine Übergangszeit empfiehlt das IMK die Finanzierung über ein Sondervermögen.
EZB: Geldpolitik nach ökologischen Kriterien
Die Geldpolitik der EZB sollte sich stärker an ökologischen Kriterien orientieren, raten die Wissenschaftler, etwa wenn es um den Aufkauf von Anleihen geht oder um die Eigenkapitalanforderungen an Banken. Als Finanzaufsichtsbehörde habe die EZB die Aufgabe, Risiken für die Finanzstabilität im Vorfeld zu identifizieren und ihnen entgegenzuwirken. Der Klimawandel stelle ein solches Risiko dar, argumentieren die IMK-Ökonomen. Schließlich hätten Banken weltweit Kredite an Unternehmen vergeben, die in klimaschädlichen Branchen tätig sind oder deren aktuelles Geschäftsmodell durch den erforderlichen Strukturwandel obsolet werden könnte. Sollten diese Kredite reihenweise ausfallen, wäre die Finanzstabilität in Gefahr. Um dem vorzubeugen, könnte die EZB zum Beispiel Bewertungsabschläge festlegen, wenn klimaschädliche Anlagen als Sicherheiten bei Banken hinterlegt werden sollen. Aus Sicht der Banken wäre es damit weniger attraktiv, Kredite an Unternehmen zu vergeben, die der Umwelt schaden. Für die betroffenen Unternehmen würden sich Kredite verteuern.
Außerdem könnte die EZB durch den gezielten Aufkauf „grüner“ Anleihen dazu beitragen, klimaschonende Technologien zu fördern. Sowohl bei der Wiederanlage fällig werdender Anleihen als auch im Zuge der seit November 2019 wieder aufgelegten Neuankäufe von Wertpapieren könnten die Zentralbanken des Eurosystems gezielt Papiere kaufen, deren Erlöse dem Klimaschutz zugutekommen. Damit würde der Strukturwandel zu Gunsten klimaschonender Produktion statt die Kreditvergabe im Allgemeinen begünstigt. Doch auch wenn die Geldpolitik grüner werden sollte, mahnen die Wissenschaftler, dürften geldpolitische Maßnahmen allenfalls flankierend zum Einsatz kommen, „nicht als Ersatz einer Wirtschaftspolitik, die den erforderlichen Strukturwandel über regulatorische und finanzpolitische Maßnahmen vorantreibt“.
Arbeitsmarkt: Strukturwandel abfedern
Der strukturelle Wandel werde sich mittelfristig auch am Arbeitsmarkt zeigen, schreiben die IMK-Forscher. Ausdrücklich loben sie den ersten Entwurf für das sogenannte „Arbeit von morgen“-Gesetz der Bundesregierung, das darauf abzielt, sowohl konjunkturbedingte Schwächephasen als auch die Auswirkungen des Klimawandels auf den Arbeitsmarkt abzufedern. Das zentrale Element in diesem Maßnahmenkatalog sei der leichtere Zugang zu Kurzarbeit. Wie bereits in der Krise 2008/2009 habe Kurzarbeit das Potenzial, im Abschwung dauerhaft Beschäftigung zu sichern. Angesichts des anstehenden Strukturwandels sei aber zusätzliche Unterstützung für Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen und zum Wechsel aus vom Wandel besonders betroffenen Industrien in Zukunftsbranchen notwendig.
Fazit: Jetzt loslegen, später nachbessern
Insgesamt fällt das Fazit des IMK gemischt aus: Es gebe in der Klimapolitik richtige Ansätze, die aber noch ausgebaut werden müssten. Auch der soziale Ausgleich komme noch zu kurz. Ökologische und soziale Nachhaltigkeit müssten zusammen gedacht werden. Dafür seien die derzeit auf deutscher und europäischer Ebene vorgesehenen Investitionen zu niedrig veranschlagt. „Doch auch wenn wir Kritik haben: Es ist besser, jetzt zügig relativ klein in eine Klimapolitik neuer Qualität einzusteigen, als noch lange auf perfekte Regelungen zu warten“, sagt IMK-Direktor Dullien. „Vorausgesetzt, die Politik ist bereit, in absehbarer Zeit noch einmal nachzulegen.“ Investitionen in technische und ökologische Infrastruktur sowie Bildung verbesserten langfristig auch die Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft. In einem eigenen Konzept veranschlagen die Wissenschaftler dafür gut 450 Milliarden Euro bis 2030.
Quelle
Sebastian Dullien, Sebastian Gechert, Alexander Herzog-Stein, Katja Rietzler, Ulrike Stein, Silke Tober, Andrew Watt: Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2020 im Zeichen des Klimawandels (pdf), IMK Report Nr. 155, Januar 2020