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WSI-Mitteilungen

Lessenich, Stephan : Leben machen und sterben lassen: Die Politik mit der Vulnerabilität

Ausgabe 06/2020

Seiten 454-461

DOI: 10.5771/0342-300X-2020-6-454

Zusammenfassung

In der Corona-Krise hat der Begriff der „Vulnerabilität“ bzw. die Rede von „vulnerablen Gruppen“ Eingang in den öffentlichen Diskurs gefunden. Entgegen der verbreiteten Ansicht, dass diese semantische Konjunktur auch die Durchsetzung einer neuartigen „Politik für das Leben“ anzeigt, argumentiert der Beitrag, dass sich das Corona-Krisenmanagement vielmehr durch seine soziale Selektivität und eine Hierarchisierung des Lebenswerten auszeichnet. Während eine alternative Corona-Politik im Sinne des Vulnerabilitäts-Konzepts Robert Castels stattdessen auf eine institutionelle Bekämpfung sozialer Gefährdetheit zielen würde, setzt eine politische Strategie im Geiste von Judith Butlers Vulnerabilitäts-Verständnis eher auf die soziale Sensibilisierung für die grundlegende Verwundbarkeit des Körpers und des Lebens. Erst die Akzeptanz dieser allgemeinen sozialen Tatsache kann demnach die Basis für eine kollektive Bearbeitung auch der konkreten Vulnerabilitäten unterschiedlicher Personen und sozialer Positionen bilden.

Abstract

In the context of the Corona crisis, the concepts of vulnerability and vulnerable groups have become prominent in public discourse. Contrary to the common understanding that this semantic conjuncture indicates a new mode of “politics for life”, the article argues that the current crisis management is characterised by its social selectivity and the hierarchisation of what is meant by “a worthwhile life”. While an alternative policy vis-à-vis the Corona virus, following Robert Castel’s concept of vulnerability, would aim to tackle social endangerment by institutional means, a political strategy adapted to Judith Butler’s conception would rather opt for increasing social awareness for the fundamental vulnerability of life and the body. In this sense, it is only through the acceptance of this basic social fact that a collective process of dealing with the specific vulnerabilities of different persons and social positions might become ­possible.

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