Quelle: WSI
Aline Zucco, 15.09.2020: Deutsche Einheit auch im Job?
30 Jahre nach der Wiedervereinigung: Wie hat sich die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt in Ost und West entwickelt? Daten belegen eine Annäherung - zeigen aber auch, dass die Geschlechterunterschiede noch immer groß sind.
Am 3. Oktober 2020 jährt sich der Tag der Deutschen Einheit zum 30. Mal. Anlässlich dieses runden Geburtstags lohnt es sich zurückzublicken und genauer zu untersuchen, was sich in diesen 30 Jahren seit der Wiedervereinigung getan hat. Sehr interessant ist in diesem Kontext das Thema Gleichstellung von Mann und Frau, denn in der Rolle der Frau kamen die Unterschiede der beiden politischen Systeme der BRD und der DDR ganz besonders zum Tragen. Während Frauen in der DDR stark in den Arbeitsmarkt eingebunden waren und beide Partner*innen gleichermaßen zum Haushaltseinkommen beitrugen, dominierte in der BRD eher ein traditionelles Familienbild. Die althergebrachte Aufteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit in Westdeutschland implizierte, dass Männer in Vollzeit erwerbstätig waren, während die Frau für die Kindererziehung zuständig und (höchstens) in Teilzeit beschäftigt war. Angesichts dieser deutlichen Unterschiede zwischen der BRD und der DDR stellt sich die Frage, wie sich beide Landesteile angenähert haben und wie es um die Gleichstellung in Ost- und Westdeutschland steht. Im Folgenden wollen wir der Antwort auf diese Frage mithilfe von sechs Indikatoren näherkommen.
Zunächst die gute Nachricht: An der Bildung sollte die Gleichstellung in Ost- und Westdeutschland nicht scheitern. In beiden Landesteilen lassen sich in den letzten Jahren hinsichtlich der schulischen und beruflichen Qualifikation kaum noch Unterschiede feststellen, denn mittlerweile sind Frauen mindestens so gut qualifiziert wie Männer. Wenn es um die Ausbildung geht, entscheiden sich Frauen jedoch nach wie vor für andere Berufe als Männer. Das bedeutet, dass der Ausbildungsmarkt in Ost- wie in Westdeutschland weiter stark segregiert ist.
Doch trotz des ähnlich hohen Qualifikationsniveaus finden sich heute noch große Geschlechterunterschiede in der Erwerbsarbeit. Ost- und Westdeutschland haben sich einander allerdings in einigen Punkten einander genähert – das gilt zum Beispiel für die Arbeitslosenquote, wo der vormals stark ausgeprägten Geschlechterunterschied in Ostdeutschland, der zum Beispiel 1995 bei 8 Prozentpunkten lag, deutlich abgenommen und 2019 mit 1,4 Prozentpunkten fast das westdeutsche Niveau (0,7 Prozentpunkte) erreicht hat. Auch die Erwerbstätigenquoten haben sich über die letzten drei Jahrzehnte zwischen Ost- und Westdeutschland stark angeglichen, insbesondere weil die Erwerbsbeteiligung von westdeutschen Frauen um über 15 Prozentpunkte angestiegen ist. Insgesamt sind Frauen aber im Westen wie im Osten der Republik weniger erwerbsbeteiligt als Männer, allerdings deuten sich zwischen beiden Landesteilen große Unterschiede hinsichtlich der Minijobs an: Denn ein bedeutender Anstieg der Erwerbstätigenquote ist vor allem in Westdeutschland auf auf Minijobs zurückzuführen. Zwar ist der Anteil der Beschäftigten mit Minijob als einzige Beschäftigungsform unter den westdeutschen Frauen über die letzten 15 Jahre leicht gesunken, dennoch zeigen sich hier noch wesentliche Ost/West-Unterschiede hinsichtlich der Rolle der Frau als (Zu-)Verdienerin. Bei all den Unterschieden in Bezug auf die Erwerbsarbeit zwischen Ost- und Westdeutschland ähneln sich die Landesteile allerdings hinsichtlich der (geschlechtsspezifischen) Berufswahl sehr: Denn ähnlich wie der Ausbildungsmarkt, ist – in Ost- und Westdeutschland – auch der Arbeitsmarkt stark geschlechtersegregiert.
Diese Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland – wie sie bei der Erwerbsarbeit beobachtet werden kann – lässt sich allerdings nicht überall feststellen, denn die geschlechtsspezifischen Einkommenslücken in Westdeutschland sind nach wie vor deutlich stärker ausgeprägt als in Ostdeutschland: Der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen liegt in Westdeutschland 21 Prozent unter dem von Männern. Damit ist der Abstand ist dreimal so groß wie in Ostdeutschland. Allerdings spielt beim geringen Gender Pay Gap im Osten ein ganz anderer Faktor hinein: Die Stundenlöhne ostdeutscher Männer sind viel niedriger als die von männlichen Beschäftigten im Westen. Diese Diskrepanz zeigt sich auch in der Einkommensverteilung: Es sind vor allem Männer in Westdeutschland, die ein monatliches Bruttoeinkommen über 5000 Euro erzielen. Diese Unterschiede spiegeln sich nicht nur beim Erwerbseinkommen, sondern auch in der Rente wider: Zwar ist der Gender Pension Gap, also der geschlechtsspezifische Unterschied in den Altersrenten, in Westdeutschland in den letzten 30 Jahren stärker gesunken als in Ostdeutschland, trotzdem ist er in den alten Bundesländern mit 58 Prozent heute noch mehr als doppelt so hoch wie im Osten.
Auch beim Thema Teilzeitarbeit haben sich Ost- und Westdeutschland einander angenähert, dennoch liegt die Teilzeitquote westdeutscher Frauen nach wie vor deutlich über der der Ostdeutschen. Unter Männern war Teilzeit hingegen in beiden Landesteilen über die letzten 30 Jahre immer ein Randphänomen. Das hat zur Folge, dass Frauen weniger Zeit mit Erwerbsarbeit verbringen als Männer. In Westdeutschland macht das Minus neun Stunden pro Woche aus, und auch in Ostdeutschland bleibt eine Differenz von fünf Stunden. Wie sehr sich beide Landesteile insbesondere hinsichtlich der Rolle der Erwerbstätigkeit von Frauen noch immer unterscheiden, zeigt sich, wenn man sich Partnerschaften mit minderjährigen Kindern anschaut: In Ostdeutschland ist es viel verbreiteter, dass beide Elternteile in Vollzeit arbeiten – fast die Hälfte aller Paare setzen dieses Modell um. In Westdeutschland findet sich diese Aufteilung hingegen nur bei einem von fünf Elternpaaren. Das Zuverdiener*innenmodell ist in Westdeutschland also nach wie vor sehr verbreitet. In Ostdeutschland hingegen ist das Doppelverdiener*innenmodell von größerer Bedeutung.
Die nach wie vor große Bedeutung von Teilzeit für westdeutsche Mütter ist unter anderem auf das unzureichende Angebot an institutioneller Kinderbetreuung zurückzuführen. Im Vergleich zu Ostdeutschland, wo mehr als 40 Prozent der Kinder unter drei Jahren und sogar 75 Prozent der Kinder zwischen 3 und 6 Jahren ganztags außer Haus betreut werden, sind es im Westen nur 14 bzw. 41 Prozent – bei spürbar höherer Nachfrage. Immerhin hat sich das Angebot an Ganztags-Kinderbetreuung in Westdeutschland im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt, so dass die Abstände zwischen beiden Landesteilen etwas kleiner geworden sind. Keine Unterschiede hingegen lassen sich bei der Aufteilung der Elternmonate beobachten: In beiden Landesteilen nimmt die Frau den Großteil der Elternmonate, denn in etwa 95 Prozent der Fälle beziehen Frauen mindestens 10 Monate Elterngeld. Männer hingegen gehen zwar immer häufiger in Elternzeit, beziehen aber meist nur zwei Monate Elterngeld. Somit verdeutlichet sich beim Elterngeldbezug, dass die Sorgearbeit nach Geburt des Kindes in Ost- wie in Westdeutschland größtenteils von Frauen übernommen wird.
Die Tatsache, dass es insbesondere in Westdeutschland weniger Möglichkeiten gibt Kinder ganztägig außer Haus betreuen zu lassen, hat auch zur Folge, dass weniger Frauen als Männer Führungspositionen besetzen. Zwar sind Frauen deutschlandweit generell viel seltener in leitender Stellung zu finden – das gilt vor allem in den hohen Positionen –, aber in den alten Bundesländern fällt das Geschlechtergefälle noch deutlich größer aus als in Ostdeutschland.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Wir sind in den letzten 30 Jahren wichtige Schritte in Richtung Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt gegangen, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Nach wie vor verdienen Frauen deutlich weniger als Männer. Ein elementarer Grund dafür ist, dass die Verantwortung für die Kinderbetreuung nach wie vor den Frauen zugeschrieben wird. Zwar gibt es keine Zahlen zu den Ost-West-Unterschieden bezüglich der Aufteilung der Sorgearbeit, aber ältere Untersuchungen belegen, dass Frauen den Großteil der Kinderbetreuung leisten, auch wenn sie den gleichen Erwerbsumfang haben wie ihr Partner. Zudem deutet die ungleiche Verteilung der Elternmonate daraufhin, dass vor allem Frauen die Kinderbetreuung übernehmen. Das bedeutet, dass es sich Ost- und Westdeutschland zwar wesentlich im Angebot institutioneller Kinderbetreuung unterscheiden, nicht aber in der innerpartnerschaftlichen Aufteilung der Sorgearbeit. Solange Mütter die Zuständigkeit für die Kinderbetreuung ganz oder überwiegend allein tragen, reduzieren sie in vielen Fällen ihre Erwerbsarbeit, was wiederum ihre Chancen auf Führungspositionen reduziert. Auch die schlechtere Bezahlung in Berufen mit typischen weiblich-konnotierten Tätigkeiten, wie Erziehungs- und Pflegeberufe, träft dazu bei, dass sich nach wie vor noch deutliche Unterschiede in den Löhnen von Männern und Frauen feststellen lassen – und das, obwohl Frauen heute genauso gut ausgebildet sind wie Männer.
Um die Gleichstellung von Frauen und Männern auf breiter Linie wirksam zu voranzubringen, müssen daher folgende Schritte unternommen werden:
- Förderung einer egalitäreren Aufteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern durch bessere institutionelle Rahmenbedingungen, vor allem durch den Ausbau von institutioneller Kinderbetreuung und die Abschaffung des Ehegattensplittings
- Förderung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Frauen und Männern durch flexiblere Arbeitszeitarrangements und „Top-Sharing“, also das Aufteilen einer Führungsposition auf zwei Teilzeitstellen
- Aufwertung von „weiblichen“ Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und Ausbau von Geschlechterquoten
Eine ausführliche Analyse zu Stand und Entwicklung der Gleichstellung von Frauen und Männern auf den Arbeitsmärkten in Ost- und Westdeutschland bietet der gemeinsam mit SowiTra erstellte WSI-Report "30 Jahre Deutsche Einheit: Gleichstellung von Frauen und Männern auf den Arbeitsmärkten in West- und Ostdeutschland?". Daten und Grafiken stehen auch auf dem WSI Genderdatenportal zum Download bereit.
Autorin
Dr. Aline Zucco ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Referat Geschlechterforschung des WSI. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Forschungen zum Gender Pay Gap, zu Berufen und beruflichen Aufstiegen, Elterngeld sowie quantitative Methoden.